Wie wahr diese Aussage ist, konnte ich auf einer weiteren Wanderung auf dem Grünen Hauptweg Nummer 18, dem Inneren Parkring, selbst erfahren. Als ich sie unternahm, freute ich mich, auf einem Abschnitt dieses Rundwegs durch Berlin zu wandern, der mir ein reiches Angebot an Grünanlagen unterbreitete, durch die er mich hindurchführte. In der Zeit des goldenen Oktobers unterwegs, genoß ich die wärmenden Strahlen der Herbstsonne, die aus einem strahlend blauen Himmel auf mich herablächelte und es ganz offensichtlich gut mit mir meinte.
Vom Rathaus Schöneberg führte mich der Weg in den benachbarten Rudolph-Wilde-Park hinein, wo ich als erstes den goldenen Hirschen auf dem nach diesem Tier benannten Brunnen bewunderte – ein Werk des Bildhauers Georg August Gaul -, bevor ich mich aufmachte, den Park, ausgehend von dem kleinen Ententeich, in seiner ganzen Länge – besonders breit ist er ja nicht – zu durchwandern. Kaum merkte ich, daß ich auf der Höhe der Kufsteiner Straße in den Volkspark Wilmersdorf hinüberwechselte – die beiden Parks gehen nahtlos ineinander über. Daß der Volkspark aus drei Teilen besteht, entging meiner Aufmerksamkeit allerdings nicht, wird er doch zunächst von der Bundesallee durchschnitten, die ich über eine eigens dafür errichtete Fußgängerbrücke, den Volksparksteg, überqueren mußte, bevor er dann an der Blissestraße zunächst zu enden scheint, sich jedoch schließlich auf deren anderer Seite fortsetzt, wo er allerdings seinen Charakter gehörig wandelt, was er dem langgestreckten Fennsee verdankt. Daß ich an diesem Punkt meiner Wanderung bereits einen See hinter mir gelassen hatte, wußte ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Und das lag – das möchte ich zu meiner Verteidigung erwähnen – nicht nur daran, daß ich von ihm keine Kenntnis besaß, auch nicht an mangelnder Aufmerksamkeit meinerseits, sondern schlicht an der Tatsache, daß es ihn zum Zeitpunkt meiner Wanderung seit bereits neunundneunzig Jahren nicht mehr gab. Man hatte ihn ab 1915 zugeschüttet.
Nun, der Fennsee war noch vorhanden, das konnte ich sehen, stand ich doch nun an seinem Ufer. Rechterhand erhob sich ein beeindruckendes Gebäude, das auf den ersten Blick als Schule zu erkennen war. Historische Schulbauten haben stets diesen gewissen Erkennungswert. Steht man vor einem von ihnen, entdeckt man meist sofort die große Aula – haben heutige Schulen so etwas eigentlich noch? Bei dem Gebäude hier am Fennsee war das nicht anders. Doch für diejenigen, denen der Charakter der Bildungseinrichtung dennoch entgehen sollte, prangte der Schriftzug „Friedrich-Ebert-Schule“ in großen Lettern über dem Eingang. Nicht so offensichtlich war hingegen die kleine Gedenktafel neben dem Portal. Sie erinnert an Mildred Harnack-Fish, eine Amerikanerin, die in den 1930er Jahren als Englischlehrerin an der ebenfalls in diesem Gebäude untergebrachten „Peter-A.-Silbermann-Schule“ tätig war, Berlins ältestem staatlichen Abendgymnasium. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Arvid Harnack und einigen ihrer Schüler gehörte sie zur Widerstandsgruppe der Roten Kapelle um Harnack und Harro Schulze-Boysen. Wie die anderen Mitglieder dieser Gruppe auch, wurde sie von den deutschen Faschisten verhaftet, zum Tode verurteilt und 1943 ermordet. Sie war die einzige amerikanische Zivilistin, die die Faschisten wegen des Widerstands gegen ihr Regime hinrichteten.
Mein Weg führte mich nun am Ufer des Sees entlang, bis ich an seinem anderen Ende die Stadtautobahn und Ringbahn erreichte. Verkehrswege dieser Größenordnung mögen für eine Stadt durchaus lebenswichtig sein, bei einer Wanderung sind sie gemeinhin weniger beliebt. Ich bildete da keine Ausnahme. Glücklicherweise konnte ich sie schnell überqueren, wobei mir eine weitere Fußgängerbrücke mit dem schönen Namen Hoher Bogen behilflich war. Daß man sie nach einem Höhenzug im Bayerischen Wald benannt hatte, erklärt man mir mit ihrer gewölbten Form. Nun, das mag stimmen. An der Ähnlichkeit der sie umgebenden Gegend, in der ich S-Bahn, Autobahn und Heizkraftwerk ausmachen konnte, mit den Bergen des deutschen Mittelgebirges kann es jedenfalls nicht liegen.
Nur schnell weiter. Auf der anderen Seite erreichte ich nach einiger Zeit einen weiteren See, an dessen Ufer ich meinen Weg fortsetzte. Im Schatten hoher Bäume ließ es sich gut wandern, der Hubertussee, wie das Gewässer hieß, lag im hellen Licht der Sonne ruhig neben mir, auf der anderen Seite waren mal mehr, mal weniger prachtvolle Villen mit weitläufigen Gärten zu sehen. Wer hier wohnte, hatte mit Sicherheit eine Menge Kleingeld auf dem Konto. In der Mitte des Sees zog eine kleine Insel an mir vorüber, und schließlich verengte sich der See und wurde zu einem Kanal. Hoch über mir führte eine Brücke über ihn hinweg. Von hier unten konnte ich prächtige Steinvasen und Obelisken ausmachen – die Brücke war mit Sicherheit schon einige Jahrzehnte alt. Heute, im Zeitalter der Zweckmäßigkeit und absoluten Kostenkontrolle, macht sich niemand mehr die Mühe, derartige Bauwerke mit dem Anstrich der Ästhetik und Schönheit zu versehen. Das war im ausgehenden 19. Jahrhundert, der Zeit, in der die nach Otto von Bismarck benannte Brücke errichtet wurde, noch anders. Heutige Brücken sind hingegen oft nicht viel mehr als ein überdimensionales Brett, über den zu überquerenden Einschnitt beziehungsweise Wasser- oder Verkehrsweg gelegt.
Hinter der Brücke verbreiterte sich der Kanal in einen weiteren kleinen Weiher mit dem schönen Namen Herthasee. Mein Weg am Ufer war allerdings hier zu Ende. Ich mußte hinauf zur Straße, die die Brücke überquerte. Oben angekommen entdeckte ich weitere Brückenkunstwerke. Mit Vasen und Obelisken hatte man es nicht bewenden lassen. Die Brückeneingänge zu beiden Seiten des Kanals wurden zusätzlich von je zwei steinernen Sphingen bewacht. Sehr hübsch. Es machte Spaß, ein wenig zu verweilen und sich all die künstlerischen Details an diesem Verkehrsbauwerk anzusehen, die übrigens alle von dem Bildhauer Max Klein geschaffen wurden. Derartige Dinge machen eine Stadt zu einem viel lebenswerteren Ort. Leider legt unsere sich für ach so rational und modern haltende Gesellschaft darauf überhaupt keinen Wert mehr. Das Ergebnis dürfen wir alltäglich in unseren Innenstädten bewundern, wo Neubauten nur dann gelungen scheinen, wenn sie sich an Langeweile gegenseitig überbieten und der Blick des Betrachters, an ihren Fassaden verzweifelt nach Halt suchend, von diesen abrutscht und auf dem Pflaster der Straße aufschlägt und zerschellt.
Parallel zum See ging es nun weiter mitten durch das Villenviertel. Weit war er nicht, der Weg. Schon nach vergleichsweise wenigen Schritten erreichte ich die Koenigsallee, auf deren gegenüberliegender Straßenseite hinter den Bäumen der Villengärten ein weiterer See blinkte – der Koenigssee. Einige Meter weiter stand ich dann an seinem Ufer.
Bis hierher hatte ich, sieht man einmal von der kurzen Unterbrechung durch Ringbahn und Stadtautobahn ab, eine schöne Wanderung durch grüne Parks und an idyllischen Gewässern entlang absolviert, stets achtend auf die kleinen Details am Wegesrand, die das Wandern in der Stadt so interessant machen. Und doch war mir etwas Wesentliches entgangen. Was ich für das alleinige Ergebnis wohlbedachter Stadtplanung zum Nutzen der Allgemeinheit gehalten hatte – die Anlage eines ausgedehnten Grünzuges quer durch die Stadt -, erwies sich beim nachträglichen Studium dessen, was ich da eigentlich gesehen und durchwandert hatte, als viel mehr. Natürlich waren die Parkanlagen, die Uferwege und die schön gestalteten Bauwerke durch entsprechende Planungen von Stadtvätern, Gartenbaudirektoren und Architekten entstanden. Doch der eigentliche Urheber dieses ausgedehnten Grünzuges war die Natur selbst. Wie ich nun erfuhr, hatte ich mich von meinem Startpunkt im Rudolph-Wilde-Park an auf den verbliebenen Resten einer eiszeitlichen Rinne bewegt. Mir war durchaus nicht entgangen, daß die Parks, die ich durchwanderte, tiefer als das umgebende Land lagen, doch die Bedeutung dessen hatte ich nicht erfaßt.
Berlinern ist die Kette der Grunewaldseen hinlänglich bekannt. Angefangen beim Wannsee reihen sich der Nikolassee, eine Rehwiese genannte Niederung, der Schlachtensee, die Krumme Lanke, der Grunewaldsee und der Hundekehlesee aneinander. Diese die sogenannte Große Grunewaldseenkette bildenden Gewässer liegen alle in einer Rinne, die durch Schmelzwasser am Ende der letzten großen Eiszeit entstanden ist. An diese Grunewaldrinne schließt sich mit der sogenannten Kleinen Grunewaldseenkette eine weitere Rinne an. In ihr folgt auf den Dianasee der Koenigssee. Beide Seen wurden Ende des 19. Jahrhunderts künstlich geschaffen, um die sumpfige Gegend für den Bau der Villenkolonie Grunewald trockenzulegen. An sie schließen sich Halen- und Lietzensee an, die die Rinne fortführen, bis diese schließlich an der Spree in der Umgegend des Schlosses Charlottenburg endet.
Zu diesen beiden eiszeitlichen beziehungsweise glazialen Rinnen gesellt sich nun eine Art Nebenrinne hinzu. Sie zweigt am Koenigssee ab und führt über den Hertha- und den Hubertussee, die ebenfalls künstlichen Ursprungs sind, zum Fennsee, schloß einst den Wilmersdorfer See mit ein und endet am Rathaus Schöneberg, wo heute der Rudolph-Wilde-Park liegt. In eben dieser Nebenrinne war ich die ganze Zeit unterwegs gewesen und hatte es praktisch nicht bemerkt. Man sieht tatsächlich nur, was man weiß.
Vom Koenigssee führte mich der Grüne Hauptweg Nummer 18 noch ein Stück weiter durch die Villenkolonie, wobei er nun der Rinne der Kleinen Grunewaldseenkette folgte. Ich bekam noch den Halensee zu sehen und stand dann erneut an der Stadtautobahn, die ich wieder über eine Fußgängerbrücke überquerte, den sogenannten Trabener Steg. Nun war es nur noch ein kurzes Stück, dann endete diese Etappe auf der Kurfürstendammbrücke mit einem Blick die Ringbahn entlang, hinüber zu Funkturm und ICC. Die lärmende Stadt hatte mich wieder.
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Berlin ist ein Ort voller Geschichte und Geschichten. Und auch wenn diese durchaus nicht immer nur schön sind, lohnt es sich doch, offenen Auges durch die Stadt zu wandern und sich mit dem Gesehenen zu beschäftigen. Viel Interessantes läßt sich dabei herausfinden und lernen.
So bot mir auch die zweite Etappe auf dem Grünen Hauptweg Nummer 18, dem Inneren Parkring, obwohl sie um vieles kürzer als die erste war (warum, will mir heute, gute acht Jahre später, durchaus nicht mehr einfallen), einige dieser Geschichten. Ich mußte nur hinschauen und – zugegeben – nachlesen. Nicht alles ist einfach so zu sehen und liegt offen zutage.
Da war zunächst das Stadtviertel mit dem etwas profanen Namen Neu-Tempelhof. Daß man es auch das Fliegerviertel nennt, war mir bis dato nicht bekannt. Beschäftigt man sich aber mit den Personen, nach denen viele der Straßen dort benannt sind, erkennt man den Grund: es sind Flugpioniere und – Kampfpiloten des Ersten Weltkrieges. Das Wunder des Fliegens wird von den Menschen eben nur allzu oft für das Grauen des Krieges mißbraucht… Daß viele der Straßen ihre Namen von den deutschen Faschisten erhielten, stört heute offenbar nicht sehr.
Auf deren Verbrechen stieß ich auf der Wanderung im übrigen unmittelbar beim Verlassen des Fliegerviertels. Ein kleine metallene Gedenktafel an einem von mehreren roten Ziegelbauten in der General-Pape-Straße wies mich auf das SA-Gefängnis Papestraße hin, in dem bereits kurz nach der Machtergreifung der Faschisten ihnen unliebsame und widerständige Menschen gefoltert und ermordet wurden. Ergänzt wird die kleine Tafel durch einen Gedenk- und Lernort, der in einem der Gebäude untergebracht ist. Diese schön anzusehenden roten Ziegelbauten waren übrigens – der Straßenname läßt es bereits erahnen – einst eine Kaserne, in der die preußischen Eisenbahnregimenter untergebracht waren – direkt an der Strecke der Anhalter und Dresdener Eisenbahn. Da waren sie schon wieder, die Kriegsgeschichten. Nicht nur die Erfindung des Fliegens mißbrauchten die Menschen zu kriegerischen Zwecken, der Eisenbahn war im Jahrhundert davor bereits das gleiche Schicksal widerfahren. Dafür fand sich allerdings keine Gedenktafel. Dafür gleich zwei, die mich darauf hinwiesen, daß in den Kasernenbauten in den 1950 und 1960er Jahren Menschen untergebracht worden waren, die die DDR verlassen hatten. Platz war dafür genug, denn die Eisenbahnregimenter gab es bereits seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr…
Gleich nebenan hat sich die Moderne ihr Recht erkämpft, das Antlitz der Gegend bestimmen zu dürfen – in Form des stählernen und gläsernen Kolosses des Bahnhofs Südkreuz, der wie ein riesiges notgelandetes Raumschiff in der Gegend herumsteht und alle Wege zu versperren scheint, so daß mir nichts anderes übrigblieb, als ihn weiträumig zu umgehen, es sei denn, ich wollte mitten hindurch, was einer Stadtwanderung aber etwas unangemessen wäre. Die Planer des Grünen Hauptwegs hatten das wohl genauso gesehen… Der Weg nahm einige Zeit in Anspruch, sind die Ausmaße dieses Kreuzungspunktes der heutigen Nord-Süd-Eisenbahn mit der Ringbahn doch durchaus gewaltig. Gleich an seinem Anfang stieß ich auf zwei weitere Erinnerungstafeln, die mir das einstige Erscheinungsbild des Bahnhofs Papestraße, wie der Bahnhof ursprünglich einmal hieß – ich kann mich daran noch erinnern -, zeigten. Es war gut, daß ich sie entdeckt hatte; so konnte ich das letzte verbliebene Relikt des alten Bahnhofs auf meinen Weg um sein modernes Pendant herum leicht finden.
Dieser Weg führte mich durch zahlreiche, etwas bedrückend einengend wirkende Betonbrücken, an deren Ende ich mich jedesmal des Gefühls nicht erwehren konnte, nach langem Aufenthalt unter Tage endlich wieder ans Licht gelangt zu sein. Es gibt definitiv schönere Abschnitte auf dem achtzehnten Grünen Hauptweg.
Dann jedoch hatte ich den Bahnhof hinter mir und wanderte weiter, bis ich vor dem großen runden Metallgerüst stand, daß man in Berlin allenthalben schon von sehr weitem sehen kann, den Weg ins schöne Schöneberg weisend: das Gasometer. Kurz nach seiner Fertigstellung 1910 war es eines der drei größten in Europa. In Betrieb ging es drei Jahre später. Nun, heute steht nur noch das Gerüst. Seit 1995 ist es stillgelegt, sein Betrieb beendet.
Beendet war an dieser Stelle zwar noch nicht meine Wanderung, die mich noch bis zum Rathaus Schöneberg führte, wohl aber meine Lust zum Fotografieren. Gab es keine ansprechenden Motive mehr? Das weiß ich heute nicht mehr zu sagen. Vielleicht war aber auch einfach nur der Akku meiner Kamera leer. Wer weiß… Aber auf jeden Fall ein Grund, die Wanderung zu einem späteren Zeitpunkt einmal zu wiederholen. Doch auch ohne Fotos vom letzten kurzen Stück des Wegs hatte ich allemal genug Stoff zum Nachdenken ob des Gesehenen…
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Hier ist es nicht nur ohne weiteres möglich, auf einer Stadtwanderung sowohl einen Flußhafen als auch einen Flughafen zu besuchen, sondern dabei auch noch feststellen zu müssen, daß beide gar nicht mehr in Betrieb sind. Das klingt wie böhmische Dörfer? Kein Problem – dieselbe Wanderung führt auch noch mitten durch ein solches hindurch.
Das glauben Sie nicht? Nun, eben diese Wanderung habe ich im April des Jahres 2014 absolviert. Sie begann im schönen Bezirk Friedrichshain am Boxhagener Platz und folgte dem Grünen Hauptweg Nummer 18 bis zum S-Bahnhof Tempelhof. Wenn Sie mögen, dann wandern Sie doch mit mir durch die dabei entstandene kleine Fotoserie, vorbei am Osthafen, am Landwehr- und am Neuköllner Schiffahrtskanal entlang mitten hinein in das historische Rixdorf mit seinem Böhmischen Dorf, von dort durch den malerischen Körnerpark und weiter die alte östliche Einflugschneise des Tempelhofer Flughafens entlang, bis wir dessen früheres Flugfeld erreichen, das heute unter dem Namen Tempelhofer Feld bekannt ist.
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Wieder stehe ich am Wassertorplatz, doch diesmal auf der anderen Seite des Hochbahnviadukts. Vor mir liegt die vierte Etappe meiner Wanderung auf dem Grünen Hauptweg Nr. 19. Vom Engelbecken hatte mich der Weg auf dem ehemaligen Luisenstädtischen Kanal entlang bis hierher geführt. Und auf eben dem Grünstreifen, den der zugeschüttete Kanal hinterlassen hat, geht es nun weiter.
Waren die Parkwege kurz vor dem Wassertorplatz zuletzt etwas ungepflegter, so sind sie nun um so eleganter. An einem Spielplatz vorbei führen sie mich an sorgsam gestutztem, saftig grünem Rasen vorbei, der sanft gewellte Hügel bedeckt. Ein winziges Tal zwischen ihnen, das eigentlich nur als Tälchen bezeichnet werden kann, wird von einer filigranen, metallischen Brücke überspannt, die reiner Dekoration dient. Denn weder strömt Wasser unter ihr entlang noch ist der Talboden weiter als einen Meter von ihrem Steg entfernt. Hübsch sieht sie aber aus.
Auf der linken Seite begleitet der Erkelenzdamm den Parkstreifen. Die Hausnummern 59 und 61 gehören zu einem schönen Gebäude, an dem in goldfarbenen Lettern „Elisabeth-Hof“ steht. Zwei Toreinfahrten direkt nebeneinander führen hinein. Weil sie offenstehen, trete ich neugierig hindurch und gelange in einen kleinen sauberen Hof. Ein Brunnen erfüllt ihn mit seinem fröhlichen Plätschern und ist umgeben von üppigem Grün. An seinem Rande sitzt ein kleiner Froschkönig mit seiner goldenen Kugel. Zu den Seitenflügeln führen dunkelbraune Türen, die mit heraldischen Lilien verziert sind und von Supraporten gekrönt werden, die hier als halbkreisförmige Reliefs über dem Türsturz gestaltet sind. Das Quergebäude wird wiederum von zwei nebeneinanderliegenden Durchfahrten durchbrochen. An ihrem Ende liegt ein weiterer Hof, den ich aber nicht erreichen kann, weil die Durchfahrten mit Gittertoren verschlossen sind. Durch sie kann ich nur in ihn hineinblicken. Vor mir liegt der erste von drei Gewerbehöfen, die neben dem Wohnhof, den ich bereits durchschritten habe, zum Ensemble dieses Gebäudekomplexes gehören, der eine der größten Industrie- und Gewerbehofanlagen in Kreuzberg ist. Die Aufgänge in die Seiten- und Quergebäude sind hier als Portale bezeichnet und durchnumeriert. Über Portal I, das mir genau gegenüberliegt, befindet sich im ersten Stock eine Tafel in der Fassade, die an den Architekten dieser Anlage erinnert: Kurt Berndt. In der zweiten Etage ist eine Uhr in die Hauswand eingelassen, die links und rechts von den Worten „Die Stunde ruft – nütze die Zeit!“ begleitet wird. Da weiß man doch gleich, worum es geht. Hier wird gearbeitet! Müßiggang hat hier keinen Platz! Nun, das sehe ich zumindest für den heutigen Tag völlig anders. Und bevor noch jemand kommt und mich zur Arbeit ruft, verlasse ich lieber den Elisabeth-Hof und gehe zurück in die Parkanlage am Erkelenzdamm.
Es sind nur noch wenige Schritte auf dem ehemaligen Luisenstädtischen Kanal, da verbreitert sich der Park nach links und rechts, und vor mir schimmert Wasser zwischen den Bäumen und Büschen hindurch. Es ist der vom Landwehrkanal durchflossene Urbanhafen, wo einst der Luisenstädtische Kanal abzweigte. Am gegenüberliegenden Ufer befindet sich ebenfalls eine Grünanlage, die jedoch von einem dunkelgrauen und – man verzeihe mir die abwertende Beurteilung – häßlichen Betonklotz dominiert wird. Das Urbankrankenhaus ist wirklich kein schöner Bau, weswegen ich auch keine weiteren Worte darüber verlieren will und meine Aufmerksamkeit lieber dem Wasserbecken zuwende, an dessen Ufer sich Schwäne tummeln. Auf meiner Seite wird es von einer schönen Uferpromenade mit angeschlossenem Park gesäumt. Mein Weg biegt nun nach rechts ab und folgt ihr am Kanal entlang. Ich passiere malerische Trauerweiden, die ihre Zweige weit über die Wasserfläche hängen lassen. Ich liebe diese Bäume, die immer von einem Hauch Melancholie umgeben zu sein scheinen.
Der Park, der hier das Ufer begleitet, ist übrigens der Böcklerpark, der nach Hans Böckler, einem Politiker und Gewerkschaftsfunktionär benannt ist. Ich muß auch nicht lange warten, da begegne ich ihm höchstselbst – allerdings nur in Form einer Büste. Da habe ich schon fast die Prinzenstraße erreicht und damit auch das Ende des Urbanhafens. Der Grüne Hauptweg Nr. 19 wechselt hier das Ufer und überquert den Landwehrkanal über die Baerwaldbrücke. Schnell noch ein letzter Blick zurück auf den Urbanhafen und dann noch einer voraus, der mir den von grünen Ufern gesäumten Kanal präsentiert. Im Hintergrund erhebt sich der Turm der Kreuzberger Heilig-Kreuz-Kirche über den Baumwipfeln.
Am Carl-Herz-Ufer führt der Weg nun weiter den Kanal entlang. Das Kreuzberg, das ich hier durchwandere, wirkt ruhig und beschaulich. Die Häuser sind ebenso wie die Straßen sehr sauber und gepflegt. Mit dem oft assoziierten alternativen Kreuzberg um Oranienstraße und Kottbusser Tor hat dieses hier gar nichts gemein. Es wirkt vielmehr fast schon bürgerlich. Das unterstreicht auch das Haus, das ich an der Straßenecke Carl-Herz-Ufer / Tempelherrenstraße erreiche. Seine Fassade ist vollkommen instandgesetzt und renoviert und wirkt wie neu. Erst auf den zweiten Blick fällt mir auf, daß die einst reichlich vorhandenen Stuck- und Fassadenelemente nicht mehr alle vorhanden sind. Hier fehlt eine Fensterbekrönung, dort ein Stück der Rahmendekoration, und da ist nur noch ein halbes Stuckrelief vorhanden. Diese fragmentierte Fassade übt einen ganz eigenen Reiz aus, so wie antike Reste, gefunden bei einer Ausgrabung. Direkt unter dem Dach befindet sich die einzige Ausnahme. Den nur noch teilweise vorhandenen Stuckfries hat man mit Malereien ergänzt. Nun tummeln sich hier merkwürdig eckige Figuren, die ihren ganz eigenen Tanz aufzuführen scheinen.
Nur wenige Meter weiter meine ich dann plötzlich, mich irgendwo auf dem Lande zu befinden. Direkt am Ufer des Landwehrkanals steht inmitten hoher Bäume ein Fachwerkhaus. Auch wenn es sich älter macht als es ist – das Alte Zollhaus wurde erst 1901 als Depot für die Berliner Stadtreinigung erbaut und später als Kontrollstelle der Berliner Dampfschiffahrt genutzt -, so ist es doch ein sehr schöner und idyllischer Ort, was das darin heute beheimatete Restaurant nach Kräften unterstützt.
Immer weiter am Kanalufer entlang führt der Weg durch das Grün, bis die nebenherlaufende Brachvogelstraße – benannt nach dem Schriftsteller Albert Emil Brachvogel, dessen bekanntestes Werk der biografische Roman über Friedemann Bach ist – unvermittelt in einem Wendekreis endet. Der Weg führt ein paar Stufen hinauf durch ein Hecke – und ich stehe plötzlich am Rand einer vom Verkehr durchtosten Straße. Diese überquert über eine Brücke den Kanal, auf dessen anderer Seite sich ihm die Hochbahntrasse nähert, auf der quietschend eine U-Bahn vorbeirumpelt. Es hupt, es dröhnt, es brummt allerorten. Nach dem grünen Idyll am Kanalufer ist die Kreuzung aus Zossener und Lindenstraße mit der Gitschiner Straße ein kleiner Kulturschock.
An der naheliegenden Ampel geht es zuerst über die Zossener Straße und dann über die Waterloo-Ufer genannte Verkehrsader, so daß ich schnell wieder am Kanal stehe. Von hier aus offenbart ein Blick zurück wieder den Turm der Heilig-Kreuz-Kirche, die nun ganz nahe ist.
Zwischen Kanal und Straße wandere ich weiter bis zur nächsten Brücke. Diese trägt heute den Namen Hallesches-Tor-Brücke, war früher jedoch unter dem Namen Belle-Alliance-Brücke bekannt. Während eines kurzen Intermezzos von 1953 und 1974 führte sie auch den Namen Mehringbrücke. Zwei Skulpturen zieren das Ende des Kanalübergangs am Waterloo-Ufer, auf jeder Seite eine. Sie gehörten einst zu einem Figurenensemble von insgesamt vier Allegorien: der Flußschiffahrt, dem Fischfang, dem Gewerbefleiß und dem Fruchthandel. Nachdem zwei der Skulpturen dem Hochbahnbau weichen mußten und in der Folgezeit nach mehreren Umzügen verlorengingen, sind heute nur noch der Fischfang und die Flußschiffahrt hier zu betrachten.
Ein kurzer Abstecher zum nahegelegenen Mehringplatz, der einst der Belle-Alliance-Platz war, führt mich zu einer weiteren steinernen Figur. Sie wurde vom Bildhauer Albert Wolff geschaffen und trägt den Namen „Der Friede“, was der Palmzweig, den sie in der Hand hält, deutlich werden läßt. Die ihr zur Seite gestellte „Geschichtsschreibung“ ist gerade nicht zu sehen, denn sie umgibt ein blickdicht verplantes Baugerüst. Da sie auf diese Weise selbst auch nichts sehen kann, wird ihr Geschichtsbuch wohl einige Lücken aufweisen.
Dominiert wird der runde Platz jedoch von einer anderen Skulptur: der Viktoria, die in seinem Zentrum auf einer hohen Säule den Siegerkranz in die Höhe hält. Diese Friedenssäule wurde von Christian Gottlieb Cantian entworfen. Ganze 19 Meter ist sie hoch, was der obenstehenden, von Christian Daniel Rauch geschaffenen Viktoria einen schönen Rundblick über die Stadt verschaffen dürfte.
Auf dem Rückweg zum Landwehrkanal fällt der Eingang zum U-Bahnhof ins Auge, an dem in großen Lettern „BAHNHOF HALLESCHES TOR“ steht. Man muß jedoch nicht unter ihnen durch-, sondern den längeren Weg an ihnen vorbei gehen, um den Bahnhof zu erreichen. Weil es vermutlich deshalb immer einige Leute ziemlich eilig haben, die Straße zu überqueren – notfalls auch bei Rot anzeigender Ampel -, muß man als müßiger Stadtwanderer aufpassen, von ihnen nicht umgerannt zu werden.
Über die Hallesches-Tor-Brücke geht es zurück auf die andere Kanalseite und dann an diesem weiter in die vorherige Richtung. Die Straße trägt jetzt den Namen Tempelhofer Ufer. Ich bin nur wenige Meter gegangen, da fällt mir auf der anderen Straßenseite ein roter Ziegelbau ins Auge. Das alte Postamt SW 61 erinnert an den gotischen Baustil, ist aber viel jünger, denn es stammt vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Heute trägt es den Namen „Hallesches Haus“.
Ich überquere den Mehringdamm, der auf der anderen Kanalseite in die Wilhelmstraße übergeht, und wandere weiter – rechts von mir der Kanal, links die Straße. Dieser Abschnitt des Grünen Hauptwegs Nr. 19 ist wegen des vorbeibrausenden Verkehrs nicht mehr so idyllisch. Die Wegmarkierungen sind sich hier nicht so recht einig, wo der Weg nun eigentlich entlangführt, denn es gibt sie auf beiden Seiten des Landwehrkanals. Ich habe also die Wahl zwischen dem Tempelhofer oder dem Halleschen Ufer. Letzteres lockt mit einem von Büschen gesäumten Weg am Kanal, der direkt unter dem Hochbahnviadukt entlangführt, doch ich entscheide mich dennoch für das Tempelhofer Ufer. Als Berliner Stadtkind schreckt mich die Straße nicht, und diese Seite hat einiges mehr zu bieten, was sich anzusehen lohnt, auch wenn man es nur auf den zweiten oder gar dritten Blick entdeckt.
Um diesen zweiten oder dritten Blick riskieren zu können, muß man allerdings hin und wieder die Straße überqueren und einen Abstecher in manch offenstehende Toreinfahrt wagen. So entdecke ich in Hausnummer 10 einen eigentlich recht unspektakulären zweiten Hinterhof. Ein hoher Ziegelschornstein und ein Flachbau zwischen den umgebenden Häusern, wie er einer Werkstatt oder einer kleinen Manufaktur als Domizil dienen könnte – mehr scheint hier nicht zu sehen zu sein. Doch selbst hier hat man früher nicht auf schmückendes Beiwerk verzichtet. Der Eingang zu einem der Hinterhofhäuser ist über seiner Tür mit einem kleinen Relief verziert, das altes Handwerk darstellt.
Ein paar Hausnummern weiter – diesmal ist es Tempelhofer Ufer 15 – führt ein unscheinbarer Toreingang auf den großen Hof der Hector-Peterson-Schule. Der Namensgeber – eigentlich Hector Pieterson – war ein südafrikanischer Schüler, der im Alter von 12 Jahren während des Soweto-Aufstandes 1976 erschossen wurde. Als ich aus der Toreinfahrt heraustrete, erblicke ich vor und rechts von mir einen großen Bau, der irgendwie auf den ersten Blick als Schulbau erkennbar ist. Der Hof ist auf der linken Seite von hohen Bäumen bestanden, und auch in seiner Mitte grünt und blüht es. Dazwischen sind beim Bummel hindurch zahlreiche kleine und große Kunstwerke zu entdecken. Über den Eingangstüren zum Schulgebäude hat man kleine, runde, steinerne, an Medaillons erinnernde Plaketten angebracht, die Kinderfiguren zeigen. Alles in allem ein sehr verträumt wirkender Ort, der an Schultagen sicher einen anderen, weitaus lebhafteren Eindruck vermittelt.
Als ich ein Stück weiter den U-Bahnhof Möckernbrücke erreiche, fällt mir das Haus Tempelhofer Ufer 20 – wieder ein Bau mit schöner Ziegelfassade – auf. Die Fenster in der mir zugewandten Seitenwand des Hauses erkenne ich erst auf den zweiten Blick als aufgemalt. Sie scheinen sich auf einem Vorhang zu befinden, der die halbe Hauswand bedeckt und gerade herübergezogen wird. Die andere Hälfte gibt einen vom Vorhang teilweise noch verdeckten, ebenfalls gemalten Baum zur Ansicht frei. Dieses 1981 von Irene Niepel geschaffene Wandbild ist ein schönes Kunstwerk mitten im städtischen Raum. Leider ist es am unteren Ende von den Händen geistloser Narren mit stumpfsinnigen Graffiti beschmiert worden.
Weiter führt der Grüne Hauptweg Nr. 19 am Landwehrkanal entlang und erreicht schließlich die Anhalter Brücke. Einst befand sich an dieser Stelle eine Brücke der Berlin-Anhaltinischen Eisenbahn, über die die Zufahrtstrecke zum alten Anhalter Bahnhof führte. Die heutige Fußgängerbrücke, an der die Schriftzüge „BERLIN“ und „ANHALT“ an die alte Eisenbahnstrecke erinnern, wurde 2001 fertiggestellt. Das Viadukt der Hochbahn, das hier den Landwehrkanal verläßt, überquert an dieser Stelle Kanal und Anhalter Brücke gleichzeitig, was einen imposanten Anblick bietet.
Mein Weg führt nun am Deutschen Technikmuseum vorbei, was mir Gelegenheit gibt, den über dem Gebäude schwebenden Rosinenbomber zu bestaunen. Ich mache mir im Geiste eine Notiz, diesem Museum auch bald mal wieder einen Besuch abzustatten. Mit dem Kanal unterquere ich das Hochbahnviadukt, das hier direkt auf das BVG-Haus am Tempelhofer Ufer zuführt. Bis zum Zweiten Weltkrieg ist die U-Bahn hier wirklich durch ein Haus hindurchgefahren. Dann wurde es jedoch zerstört. Der heutige Neubau erinnert mit dem über der Strecke schwebenden BVG-Logo nur noch vage daran.
Nachdem die Hochbahn vom Kanal verschwunden ist, wird er nun beidseitig von Bäumen gesäumt, was ihm gleich ein viel grüneres Antlitz verleiht, obwohl ihn immer noch Straßen begleiten. Die auf meiner Seite wechselt alsbald ihren Namen in Schöneberger Ufer. Auf der anderen Seite ist ein alter Ziegelbau mit einem langen Schornstein zu sehen. Dieses alte Pumpwerk am Halleschen Ufer steht unter Denkmalschutz. Es diente von 1978 an als Lapidarium, in dem alte steinerne Denk- und Standmale bewahrt wurden, ist aber seit 2010 geschlossen und öffentlich nicht mehr zugänglich.
Auf meiner Seite des Kanals passiere ich derweil einen prachtvollen Klinkerbau mit zwei runden Ecktürmen. Dieses ehemalige Dienstgebäude der Königlichen Eisenbahndirektion Berlin, das Ende des 19. Jahrhunderts errichtet wurde, beherbergt heute die Bundespolizei. An seine Eisenbahnzeit erinnert noch das Flügelrad über dem Haupteingang im Mittelbau.
Nur wenige Schritte weiter unterquere ich schon wieder ein Hochbahnviadukt. Hier überquert die U-Bahnlinie U2 den Kanal und strebt linker Hand dem Gleisdreieck entgegen. Den Eingang zum Park am Gleisdreieck passiere ich hinter dem architektonisch wenig ansprechenden Parkhaus, dessen Einfahrt überdimensionierte steinerne Rosen zieren, die beweisen, daß übermäßige Vergrößerung auch wunderschöne Dinge in Monstrositäten verwandeln kann.
Gegenüber ragen hinter dem Landwehrkanal die Bauten der ehemaligen Daimler-City auf, die bis zum Potsdamer Platz reichen. Der Grüne Hauptweg Nr. 19 wendet sich jedoch von ihnen ab und führt in den kleinen Park am Karlsbad hinein, eine mir sehr willkommene grüne Oase nach dem langen Marsch direkt an der Straße. Im 19. Jahrhundert befand sich hier ein Kurbad, das den Namen „Auf dem Karlsbade“ trug. Später errichtete man hier Wohnhäuser, die jedoch im Zweiten Weltkrieg ihr Ende fanden. 1950 entstand dann der Park, den ich, nachdem ich die als „Schreitender“ bezeichnete Skulptur von Hans Haffenrichter passiert habe, wieder verlasse.
Hier kreuzt der Landwehrkanal die Potsdamer Straße, die ich nun überquere. Auf dem Mittelstreifen nehme ich mir kurz die Zeit, das von Gerhard Rommel geschaffene Denkmal für den „Eisernen Gustav“ zu betrachten. Ein Blick in die andere Richtung präsentiert mir die Staatsbibliothek zu Berlin und das Kulturforum. Das markante Dach des Sony-Centers grüßt herüber. Am Kanal steigt der Weg eine steile Treppe hinab, an deren Fuß er dann eher an einen Trampelpfad erinnert. Das ist jedoch nur kurz der Fall, denn schon nähert sich von links wieder die Straße und der Pfad wird breiter. Unter Bäumen geht es nun am Ufer weiter.
Auf der anderen Seite trägt die Straße mittlerweile den Namen Reichpietschufer, und dort kommt jetzt das von August Busse entworfene Gebäude in Sicht, das einst der Sitz des Reichsversicherungsamtes war. Ende des 19. Jahrhunderts wurde es errichtet und hat die Zeiten und zwei Weltkriege überstanden. Der sogenannten modernen Überformung durch den britischen Architekten James Stirling, die lediglich die kanalseitige Fassade übrigließ, hatte es dann jedoch nichts mehr entgegenzusetzen. Heute ist hier das Wissenschaftszentrum Berlin untergebracht.
Am Schöneberger Ufer, an dem ich immer noch entlangwandere, passiere ich einen Hauseingang, an dem eine Berliner Gedenktafel an den Kunsthändler Ferdinand Möller erinnert, der hier einst seine Galerie hatte und, obwohl von den Faschisten mit der Verwertung der im Rahmen der Verfolgungsaktion „Entartete Kunst“ beschlagnahmten Kunstwerke beauftragt, viele von ihnen vor der Vernichtung bewahrte.
Hinter der Bendlerbrücke rückt nun auf der gegenüberliegenden Kanalseite das gleichnamige Gebäude ins Blickfeld – der Bendlerblock. Er diente einst dem Reichsmarineamt als Sitz und beherbergt heute das Bundesministerium für Verteidigung. Bekannt ist er auch, weil sich hier die Gedenkstätte Deutscher Widerstand befindet.
Die nächste Brücke ist ein kleiner Steg, der Fußgängern vorbehalten ist und den Namen Hiroshimasteg trägt. Der Grüne Hauptweg Nr. 19 überquert auf ihm den Landwehrkanal und führt dann auf dem Herkulesweg durch einen kleinen Parkstreifen. Hier in der Galandrellianlage bemerke ich auf einer Wiese einen etwa mittelgroßen Hund, der jedoch schon von weitem etwas merkwürdig anmutet. Als ich näherkomme, erkenne ich den Grund – ich habe etwas vor mir, was man in Berlin nicht alle Tage sieht: ein Schwein. Sein Besitzer führt es aus wie einen der bellenden Vierbeiner, die man sonst in Berlins Grünanlagen anzutreffen gewohnt ist. Man könnte also sagen, es handelt sich um einen echten Schweinehund.
Am Ende des Parkstreifens trifft der Weg auf eine Mauer, an der er nun entlangführt. Hinter ihr steht ein weißer villenartiger Bau, den ich genauer betrachten kann, als ich ihn passiert habe. Die Villa von der Heydt ist eine der ältesten und heute die einzige erhaltene freistehende Villa, die von der einstigen Villenbebauung des großen Tiergartenviertels aus dem 19. Jahrhundert noch erhalten ist. Direkt an sie an schließt sich das Bauhaus-Archiv, ein Museum, das Arbeiten, Dokumente und Literatur, die in Zusammenhang mit dem Bauhaus stehen, sammelt und präsentiert.
Die Corneliusstraße, auf der es nun weitergeht, gibt mir mit ihrem Namen schon einen Hinweis. Und richtig, an der nächsten Brücke habe ich ihn erreicht – den Endpunkt meiner Wanderung. Ich bin dort angekommen, wo ich vor vier Etappen begonnen habe: an der Corneliusbrücke. Der Rundkurs des Grünen Hauptwegs Nr. 19 ist vollendet – ein Rundkurs um Berlins Zentrum, auf grünen Wegen und doch mitten in der Stadt. Schön war’s.
Seit der letzten Etappe ist eine kleine Weile ins Land gegangen, und so ist es nun endlich an der Zeit, meine Wanderung auf dem Grünen Hauptweg Nr. 19 fortsetzen. Und auch wenn das Wetter heute etwas durchwachsen ist und immer wieder kleine Regenschauer niedergehen, soll mich das nicht an meinem Vorhaben hindern.
Startpunkt ist wiederum der Endpunkt der letzten Stadtwanderung. Von der Kulturbrauerei, dort, wo die U-Bahn in der Schönhauser Allee ans Tageslicht tritt und auf ihr Viadukt hinauffährt, geht es nun ein Stück die Sredzki-Straße entlang, begleitet von den Ziegelmauern der Bauten der ehemaligen Schultheiß-Brauerei. Schon an der nächsten Straßenecke wechselt der Weg die Richtung und folgt nun der Knaackstraße. Beide Straßen erinnern an deutsche Kommunisten – Siegmund Sredzki und Ernst Knaack -, die aktiv gegen den deutschen Faschismus gekämpft hatten und ihm im Jahre 1944 zum Opfer fielen. Mein Weg führt mich an der Grundschule am Kollwitzplatz vorbei, auf deren Gelände eine von Heinz Worner geschaffene Stele mit dem Titel „Traditionen der deutschen Arbeiterklasse“ auch an diese beiden Widerstandskämpfer erinnert.
Wenige Schritte weiter erreiche ich mit dem Kollwitzplatz die erste grüne Oase, die die heutige Etappe des Grünen Hauptwegs Nr. 19 heute für mich bereithält. Ich mache einen kurzen Abstecher in den kleinen Park und zum Denkmal für Käthe Kollwitz, das vom Bildhauer Gustav Seitz geschaffen wurde. Auf der von der Knaackstraße gebildeten Platzseite passiere ich ein kleines unscheinbares Metalltor, in dem unter den zahlreichen, es verunstaltenden Graffitis die darin eingelassenen beiden Davidsterne kaum noch auffallen. Sie bilden Gucklöcher in den geschlossenen Torflügeln, und ein Blick hindurch lohnt durchaus. Er fällt auf einen grasbewachsenen Weg, der zunächst zwischen den Hauswänden hindurchführt und dann auf der rechten Seite von einer Mauer begleitet wird. Ich blicke auf den sogenannten Judengang, der hinter dem jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee verläuft, einst eine rituelle Funktion besaß und heute eines der wenigen erhaltenen Beispiele eines jüdischen Begräbnisganges ist.
An der Ecke Knaackstraße und Kollwitzstraße steht ein unscheinbarer Neubau, der nicht weiter auffällt. Eine Tafel daran belehrt mich, daß hier in der ehemaligen Weißenburger Straße einst das Haus stand, in dem Käthe Kollwitz nach der Heirat mit ihrem Mann Karl Kollwitz wohnte.
Der Weg Nr. 19 verläßt hier den Kollwitzplatz, folgt noch ein Stück der Knaackstraße und erreicht am Wasserturm die nächste grüne Oase. Er biegt in die Diedenhofer Straße ein, wo er um den kleinen Park herumführt. Ein kleiner Abstecher in die Grünanlage lohnt sich auf jeden Fall. Steigt man auf den kleinen Hügel, unter dem sich die Gewölbe der Wasserspeicher befinden, hat man einen schönen Blick über die Stadt und kann sich den behäbigen Wasserturm und den schmalen Steigturm aus der Nähe besehen.
Von hier aus geht es weiter durch die Belforter Straße. Nummer 24 gehört zum Hotel Ackselhaus. Weil die Toreinfahrt gerade offensteht, trete ich hinein und finde mich in einem schön gestalteten Hauseingang wieder. Ein Sofa lädt zum Verweilen ein, an den Wänden hängen kleine Kunstwerke, die Decke ist mit Stuck versehen und gibt vor, der auf sie aufgetragenen Farbe Lebewohl zu sagen. Ein Kronleuchter spendet Licht. Eine Tür öffnet sich zu einem schön gestalteten Innenhof mit einem Wasserbecken, in dem sich Fische tummeln. Ein Hort der Ruhe und Entspannung. Lediglich die an zwischen den Hauswänden gespannten Schnüren aufgehängten riesigen rosafarbenen aufgeblasenen Kraniche wirken fehl am Platze und übermäßig kitschig.
Wenige Meter weiter quert der Grüne Hauptweg die Prenzlauer Allee. Links die Straße hinauf grüßt der Turm der Immanuelkirche herüber, blickt man nach rechts, tun Fernsehturm und das Park-Inn-Hotel am Alexanderplatz es ihm nach. Weiter geht es nun durch die Heinrich-Roller-Straße. Rechter Hand wird sie alsbald von einer Ziegelmauer begleitet. Ein Toreingang steht offen und gibt den Weg hindurch frei. Ich stehe in einer kleinen Parkanlage, die den Namen Leise-Park trägt. Einst gehörte das Areal zum Friedhof St. Marien und St. Nicolai, wurde jedoch schon seit 1970 nicht mehr für Bestattungen genutzt. Den Namen hat man dem Park tatsächlich verliehen, um Besucher darauf hinzuweisen, leise zu sein. Das ist auch mehr als angemessen, nicht nur, weil die kleine Grünanlage, auf die ich hier unverhofft getroffen bin, ein Ort der Erholung sein soll, sondern auch, weil sich einige der Grabanlagen hier noch erhalten haben. Vom breiten Hauptweg zweigen links und rechts kleine Pfade ab, die von ihm weg in den Park hinein und verschlungen durch’s Gezweig wieder zu ihm zurückführen. Bänke mitten im Grün laden zum Verweilen ein und über allem liegt eine Ruhe, wie man sie hier inmitten der Stadt gar nicht vermuten würde. Ein wirklich schönes Erholungsareal, das hinter der alten Friedhofsmauer darauf wartet, entdeckt zu werden.
Ich passiere die Winsstraße. Weicht man hier vom Grünen Hauptweg Nr. 19 für einen kurzen Ausflug ab und folgt ihr ein Stück, gelangt man zum Haus Nummer 63. Hier erinnert eine Berliner Gedenktafel an den Rundfunk- und Fernsehmoderator Hans Rosenthal, der einst hier wohnte. Von den Faschisten verfolgt und zur Zwangsarbeit verurteilt, überlebte er mit Glück und Hilfe den Holocaust. In der Nachkriegszeit wurde er einer der beliebtesten Showmaster im Fernsehen. Seine Sendung „Dalli Dalli“ und sein Ausruf „Das war Spitze!“ gehören heute gewissermaßen zum Allgemeingut.
Zurück in der Heinrich-Roller-Straße folge ich ihr, bis sie die Greifswalder Straße erreicht. Hier biegt der Weg nach rechts ab und führt kurz darauf an eine große Kreuzung. Hier stand einst das zweite Königstor, das Eingang durch die Akzisemauer gewährte. Als es schon nicht mehr stand, gab man dem Platz den Namen „Platz am Königstor“, den er heute allerdings nicht mehr trägt.
Den Prenzlauer Berg nun verlassend, überquert der Grüne Hauptweg Nr. 19 die hier beginnende Greifswalder Straße, und ich tue es ihm gleich. Eine weitere Straßenüberquerung später stehe ich auf der anderen Seite der Straße „Am Friedrichshain“ und am Eingang des Volksparks, der einem ganzen Stadtbezirk seinen Namen gibt. Durch ein Eingangstor, das von zwei kleinen Putten flankiert wird, führt der Weg in den Park hinein und direkt auf Berlins möglicherweise bekanntesten Brunnen zu: den Märchenbrunnen. Eine terrassenartig angelegte Wasserkaskade mit kleinen Fontänen, wasserspeienden Fröschen und einer Arkade am hinteren Ende bilden das schöne Ensemble, das von zahlreichen, Figuren aus den Grimmschen Märchen darstellenden Statuen eingerahmt wird. Aschenputtel, Dornröschen, Hans im Glück, Hänsel und Gretel – alle sind sie da. Ein Ort, der zum Verweilen einlädt – und diese Einladung nehme ich gerne an.
Als ich weiterwandere, führt der Weg durch die Arkade und an einer weiteren Fontäne im Park dahinter vorbei. Das gesamte Areal ist von einem Zaun eingefaßt, der es vom eigentlichen Volkspark trennt. Durch ein weiteres Tor führt der Weg zunächst in diesen hinein, biegt jedoch gleich nach rechts ab und wendet sich der Friedenstraße zu, die er kurz darauf erreicht. Hier passiert er das Denkmal für die Interbrigadisten, die den spanischen Freiheitskampf gegen General Franco zwischen 1936 und 1939 unterstützten.
Am Platz der Vereinten Nationen verläßt der Weg den Park und überquert den Platz. Ein einsetzender Nieselregen erzwingt eine kurze Unterbrechung der Wanderung, geht aber glücklicherweise schnell vorüber. Ein Springbrunnen, der jedoch gerade pausiert und sich daher lediglich als etwas willkürliche Ansammlung großer Steine präsentiert, befindet sich dort, wo sich einst das große Lenindenkmal von Nikolai Tomski erhob, das man 1991 gegen den Widerstand der Anwohner abriß.
Durch die grüne Lichtenberger Straße führt der Weg nun zum Strausberger Platz. Der in seiner Mitte stehende Brunnen, den der Kunstschmied Fritz Kühn und der Architekt Heinz Graffunder gestalteten, ist in Betrieb und seine Fontäne verleiht dem Platz ein würdiges Zentrum. Die Biermeile, die an diesem Wochenende gerade stattfindet und allerlei am Gerstensaft interessiertes, lautstarkes Volk anzieht, ignoriere ich nach Kräften und überquere schnell die Karl-Marx-Allee. Ihr Namensgeber hatte mehr Glück als Lenin, denn seine vom Bildhauer Will Lammert geschaffene Büste steht noch und ist mir natürlich einen eingehenderen Blick wert.
Anschließend führt der Weg weiter die Lichtenberger Straße entlang. Sie ist eine sehr grüne Verkehrsader, verfügt sie doch über einen breiten, rasenbewachsenen und baumbestandenen Mittelstreifen, den an ihren Rändern weitere Grünstreifen mit teils recht hohen Bäumen ergänzen. Überhaupt ist das Stadtviertel, das sie durchquert und das von zahlreichen Plattenbauten gebildet wird, durch seine mit vielem Grün gefüllte Weitläufigkeit ein schöner Ort zum Wohnen. Es ist lohnend, sich die Zeit zu nehmen und einmal links oder rechts des Weges durch die Wohnanlagen zu pilgern.
Hinter der Holzmarktstraße unterquert der Grüne Hauptweg Nr. 19 das Viadukt der Stadtbahn und erreicht wieder die Spree, die er über die Michaelbrücke überwindet. Auf der anderen Seite folgt ein kurzer Abschnitt, der nur wenig für’s Auge bietet. Rechter Hand erstreckt sich der Zaun, hinter dem das Heizkraftwerk Mitte seine Anlagen sortiert hat, linker Hand stehen vergleichsweise langweilige Geschäftshäuser. Wenn man jedoch auf seinen Weg und seine Umgebung achtet, kann man selbst hier etwas entdecken. Etwa in der Mitte der Strecke bis zur nächsten Querstraße sind direkt vor dem Zaun des Kraftwerks drei Stolpersteine in den Gehweg eingelassen. Sie erinnern an von den Faschisten verschleppte und ermordete jüdische Bürger der Stadt, die in den zu jener Zeit hier noch stehenden Wohnhäusern lebten. Die Inschriften sind jedoch kaum noch zu erkennen. Straßendreck deckt sie nahezu völlig zu. Mit einem kleinen Feuchttuch ist der jedoch leicht zu beseitigen, so daß die Steine kurze Zeit später ihre Botschaft der Mahnung wieder weitergeben können.
Der Weg führt die Michaelstraße weiter, quert die Köpenicker Straße und läuft nun direkt auf einen großen Kirchenbau zu. Als er den Michaelkirchplatz erreicht, gabelt sich die Straße um einen grünen, baumbestandenen Platz, in dessen Mitte sich besagte Kirche erhebt. Sie trägt – die Bezeichnung des Platzes läßt es bereits ahnen – den Namen Sankt-Michael-Kirche. Als ich um sie herumgehe, wird deutlich, daß sie eine Ruine ist, die nur teilweise wieder aufgebaut wurde. Der Zweite Weltkrieg hat sie ebensowenig verschont wie den Rest der alten Luisenstadt, wie dieses Stadtviertel einst hieß. Der von den Bomben der Alliierten entfachte Feuersturm – der einzige, den es in Berlin gab – hat hier nahezu keinen Stein auf dem anderen gelassen.
Rings um die Kirche zieht sich eine kleine Parkanlage. Das Kirchenschiff selbst ist nicht mehr vorhanden. Nur noch Teile der Außenmauern markieren, wo es sich befand, das Dach ist verschwunden. Ganz oben auf der Frontseite der Kirche steht allerdings noch die Statue des Heiligen Michael, die von August Kiß geschaffen wurde.
Vor der Kirche erstreckt sich eine Wasserfläche. Das Engelbecken ist das letzte Überbleibsel des ehemaligen Luisenstädtischen Kanals, der einst Landwehrkanal und Spree verband. Hier am Engelbecken knickte der Kanal, von Süden vom Landwehrkanal her kommend in einem Winkel von neunzig Grad nach Osten ab. Sein Verlauf ist auch heute noch gut zu erkennen, denn als man den Kanal 1926 zuschüttete, legte man an seiner Statt eine Grünanlage an. Dieser folgt der Weg nun nach Süden – so wie ich auch nach einer kurzen Rast im Café am Engelbecken.
Unter dicht bewachsenen Laubengängen, in die kaum ein Sonnenstrahl einzudringen vermag, geht es in einen kleinen Rosengarten hinein und dann weiter im tieferliegenden ehemaligen Bett des Kanals zwischen Ufermauern entlang. In der Mitte steht ein kleiner indischer Brunnen, ein von kleinen Frauenfiguren und Löwenköpfen gebildetes kegelförmiges Gebilde, auf dessen Spitze eine größere Frauenfigur sitzt.
Der Weg führt unter einer Brücke hindurch, über die die Waldemarstraße den alten Kanal überquert. Am Legiendamm rechts ist ein kleiner Ziegelbau zu erkennen. Das darin untergebrachte Restaurant trägt den Namen „Zur kleinen Markthalle“. Es ist ein Überbleibsel der alten Markthalle VII, die sich einst hier befand und bis zur nahegelegenen Dresdner Straße erstreckte, an der man noch heute den alten Haupteingang der Markthalle findet.
Hinter der Brücke steigt der Weg langsam an und die alten Ufermauern verschwinden. Hier ist der alte Kanal vollständig zugeschüttet worden, so daß ich nun auf einer Art Mittelstreifen zwischen zwei Straßen, dem Legien- und dem Leuschnerdamm weiterwandere. Zwei Büsten links und rechts erinnern an die Namensgeber der beiden Straßen, die Gewerkschaftsführer Karl Legien und Wilhelm Leuschner.
Kurz darauf erreicht der Weg den Oranienplatz, das einstige Zentrum der Luisenstadt. Ein etwas merkwürdig anmutender Brunnen will zunächst passiert werden, bevor die Oranienstraße in der Platzmitte überquert werden kann. Auf der anderen Seite setzt sich die aus dem ehemaligen Kanal hervorgegangene Parkanlage fort. Auf der linken Platzseite steht an der Ecke zur Oranienstraße ein Bau, der auf den ersten Blick als ehemaliges Warenhaus zu erkennen ist. Hier war einst das Kaufhaus Brenninkmeyer untergebracht. Auch wenn in diesem Haus heute keine Waren mehr feilgeboten werden – die Kaufhauskette gibt es noch. Sie heißt heute C & A. Links auf der gegenüberliegenden Platzseite prangt an einem Gebäude der Schriftzug „Oranien-Apotheke“. Nun, die Apotheke ist auch nicht mehr existent. 1860 wurde sie eröffnet. Das alte Apothekenmobiliar kann man heute noch betrachten – das nun hier befindliche Café hat sie weitestgehend erhalten.
Als ich in die hinter dem Platz sich fortsetzende Parkanlage eintrete, fällt mir an dem Gebäude rechts der daran angebrachte Name „Max-Taut-Haus“ auf. Das Gebäude wurde vom namensgebenden Architekten als Warenhaus der Konsumgenossenschaften entworfen.
Der Weg führt jetzt weiter durch den Park auf dem ehemaligen Luisenstädtischen Kanal. Er wirkt nun etwas ungepflegter, ist oft sandig und wegen des Regens der vergangenen Tage auch matschig. Ein Zaun umschließt eine Baustelle, an der niemand arbeitet – ein Umstand, der auf viele Baustellen in Berlin zutrifft. Dann läuft der Weg direkt auf einen Zaun zu, in dem sich ein Tor befindet. Dieses steht zwar offen, doch erstreckt sich dahinter nur ein Verkehrsgarten. Es ist wenig wahrscheinlich, daß der Wanderweg da hineinführt. Und richtig, an einem der zahlreichen Bäume findet sich ein Wanderzeichen, das mich anweist, um die Anlage herumzulaufen.
Noch bevor ich das tun kann, höre ich lautes Rumpeln und Quietschen. Irgendwo fährt langsam ein Zug vorüber. Als ich unter den Bäumen hervortrete, sehe ich die Quelle: das Hochbahn-Viadukt in der Skalitzer Straße. Ich stehe am Wassertorplatz. An einem Hochbahnviadukt habe ich die heutige Etappe begonnen. Und an einem Hochbahnviadukt beende ich sie auch. Dazwischen lag ein Weg voller grüner Oasen im Herzen der Stadt.
Nach der ersten Etappe auf dem Grünen Hauptweg Nummer 19 neugierig geworden, wie es denn weitergeht, entschloß ich mich, den heutigen Feiertag zu nutzen, um – keine Himmelfahrt und auch keine Bollerwagentour zu unternehmen, sondern die Wanderung fortzusetzen. Am Spreebogen geht es heute los – genau dort, wo der vorangegangene Abschnitt geendet hatte.
Und so steige ich hinauf auf den Marie-Elisabeth-Lüders-Steg, wo die ersten Fotos mitten über der Spree entstehen. Sonne war versprochen worden, doch die läßt sich nicht blicken, versteckt sich hinter dicken, recht grauen Wolken. Dazu weht mir ein doch recht kühler Wind um die Nase. Für eine Stadtwanderung ist das aber durchaus angenehmes Wetter. Solange es nicht regnet. Doch das steht heute glücklicherweise nicht auf dem Programm.
Weiter geht es an der Spree entlang bis kurz vor den Hauptbahnhof, wo der Weg auf das Alexanderufer abbiegt – eine Straße, die mir irgendwie sympatisch ist. Humboldthafen, Charité, Hamburger Bahnhof, Hauptbahnhof – bereits hier gibt es eine Menge zu sehen.
Hinter der Invalidenstraße führt mich der Weg dann ein Stück am Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal entlang. Er folgt dem ehemaligen Verlauf der Berliner Mauer und quert den Invalidenfriedhof. Es ist der erste von vier Friedhöfen, an denen ich heute vorbeikomme – und sie alle haben eines gemeinsam: ihnen wurde ein nicht geringer Teil ihrer Fläche durch den Mauerstreifen entrissen, die darin liegenden Gräber wurden damals einfach planiert. Die Wunden in den stillen Arealen sind heute noch überdeutlich zu erkennen.
Weiter nördlich erreiche ich die Mündung der Panke. Der Weg biegt hier vom Kanal nach rechts ab und folgt weiter dem Mauerstreifen. Über die Chausseestraße geht es in die Liesenstraße, wo ich mir einen Abstecher auf den Friedhof II der Französisch-Reformierten Gemeinde erlaube, um die Grabstätte Theodor Fontanes aufzusuchen. Gleich in der Nähe entdecke ich auch das Grab des Dichters Peter Hacks. Einige seiner Kinderbücher haben mir meine Kindheit verschönert.
Der Park auf dem ehemaligen Bahngelände des Nordbahnhofs ist eine stille Oase inmitten der Stadt. Der Frühling zaubert bunte Blüten an Bäume und Sträucher. Hin und wieder tauchen aus der Erde alte Gleise auf. Eine ferne Erinnerung an die Hochzeit der Eisenbahn in Berlin.
Am Ende des Parks, dort, wo einst das Bahnhofsgebäude stand und heute nur noch die S-Bahn hält – was man aber nicht sieht, weil sie es vorzieht, sich unter der Erde aufzuhalten -, biegt der Weg in die Bernauer Straße. Hier, an der Gedenkstätte Berliner Mauer stürzt er mich in den Menschentrubel, denn zum einen ist diese ein Touristenmagnet, zum anderen ist gerade evangelischer Kirchentag in Berlin. Seit ich das letzte Mal hier war, ist die Gedenkstätte ganz schön ausgebaut worden. Sie zieht sich jetzt die ganze Bernauer Straße entlang. Ich mache mir im Geiste eine Notiz, ihrer Besichtigung bei Gelegenheit mal einen Tag zu widmen.
Heute wandere ich nur die Bernauer Straße entlang, bis sie den Mauerpark erreicht. Der ehemalige Mauerstreifen und mit ihm der Mauerweg biegen hier links nach Norden ab, während mein Grüner Hauptweg Nummer 19 rechts der Oderberger Straße folgt, die, gesäumt von bunten Fassaden sanierter Altbauten, voller Cafés und Restaurants ist, die sich auf beiden Seiten aneinanderreihen. Und hier läßt sich endlich auch die Sonne blicken und sorgt so für ein beinahe sommerliches Ambiente.
Hinter der Kastanienallee komme ich am alten Stadtbad vorbei und bin kurz danach auch schon auf der Schönhauser Allee, wo die U-Bahn den dunklen Schlund ihres Tunnels verläßt und der Höhe ihres Viaduktes entgegenstrebt. An der Straßenecke erhebt sich der Turm der alten Schultheiß-Brauerei, die es längst nicht mehr gibt. Heute wird hier Kultur zusammengebraut.
An dieser Stelle ist meine Wanderung für heute zu Ende. Runde 10 Kilometer reichen. Die nächste Etappe will mir ja sicher auch noch was zeigen.
Frühling in Berlin im schönen Monat Mai. Was gibt es da Besseres, als die Wohnung zu verlassen und rauszugehen ins Freie, wo die Sonne scheint und der Wind einem um die Nase weht…
Gesagt, getan. Doch wohin soll’s gehen? Gute Frage. Glücklicherweise stellt die Beantwortung dieser Frage in Berlin überhaupt kein Problem dar. Grüne, blühende Natur und eine Vielzahl an Gewässern bis tief in die Stadtmitte hinein – davon hat Berlin reichlich. Man muß gar nicht weit hinaus fahren, um das zu genießen. Bereits eine Stadtwanderung bietet diesbezüglich alles, was man sich nur wünschen kann. Und man muß nicht mal selbst danach suchen, denn hier gibt es eine wunderbare Erfindung: Die zwanzig Grünen Hauptwege mitten in der Stadt, die den neugierigen Berliner ebenso wie den interessierten Berlin-Besucher mitten in die zahlreichen grünen Oasen der Stadt führen.
Das probiere ich immer wieder gerne aus und lasse mich entführen in die wunderbarsten Ecken meiner Stadt, von denen ich viele selbst noch gar nicht kenne. Heute habe ich mich für den Grünen Hauptweg Nummer 19 entschieden – ein Rundweg, der die Berliner Innenstadt erkundet. Meine erste Etappe beginnt an der Corneliusbrücke am Berliner Tiergarten und führt an diesem entlang und um ihn herum bis zum Spreebogen am Berliner Hauptbahnhof. Nicht sehr lang, nur runde acht Kilometer, für die man sich so alle Zeit der Welt lassen kann. Denn zu sehen gibt es allemal genug…
A good traveller has no fixed plans and is not intent on arriving. (Lao Tzu)