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Stadtbummel im Grünen

Dieser Beitrag ist Teil 4 von 10 der Beitragsserie "Reise nach Neuseeland & Singapur"
Wie ich mitten in Auckland einen Stadtbummel im Grünen machte

Als wir aus dem Eingangsbereich des Sky Towers hinaus auf die Straße treten, läßt uns dies aus den erhabenen Sphären hoch über der Stadt, in denen wir eben noch geschwebt hatten, förmlich auf den Boden der Tatsachen, das heißt in den wirren Trubel der geschäftigen Metropole fallen. Autos brausen die Victoria Street entlang an uns vorüber, wenn ihnen die Ampel an der kleinen Straßenkreuzung, vor der wir stehen, grünes Licht gibt, während sie bei rotem Signal ob des erzwungenen Halts unwillig vor sich hin zu brummen scheinen.

Hatten wir eben noch großzügig über die gen Himmel strebenden und ihn doch nicht erreichenden Hochhäuser des Central Business Districts hinweg- und in die Weite gesehen, so ist es nun, als ob sich eben diese Bauten dafür revanchieren wollen, indem sie sich jetzt um so dichter zusammendrängen und unseren Blick so weit wie nur möglich begrenzen, so daß er kaum wesentlich weiter als bis zur nächsten Straßenkreuzung reicht. Überdimensionierte Werbetafeln an den Fassaden der meist quaderförmigen Blöcke versuchen, unsere Aufmerksamkeit an sich zu binden, indem sie uns ihre Botschaften mittels riesiger Lettern förmlich entgegenschreien. Vergebens. Wir sind an ihnen nicht sonderlich interessiert.

Mein Blick wendet sich stattdessen einigen Bauten aus offensichtlich früheren Tagen zu, die es hier und da geschafft haben, den sich um sie herum versammelnden und in die Höhe reckenden Wolkenkratzern ihren Standort abzutrotzen. Bescheiden begnügen sie sich mit zwei oder drei Stockwerken, in deren unterem sie kleine Läden, Cafés oder Restaurants beherbergen. Gefällig präsentieren sie dem Auge des Betrachters hübsche Fassaden mit sauber gegliederten Fensterachsen und Schmuckelementen wie kleinen Spitzgiebeln, in die Hauswand integrierten Ornamenten oder Mauervorsprüngen. Ein langgestrecktes Gebäude mit dem Erscheinungsbild eines Reihenhauses paßt sich der in der Höhe abfallenden Victoria Street an, indem sich seine Bestandteile treppenförmig aneinanderfügen. Demgegenüber scheinen die Architekten der die kleinen, alten Bauten bedrängenden Hochhäuser ihre Energie eher in den Wettbewerb, welches ihrer Bauwerke wohl höher aufragen kann, investiert zu haben, wobei sie jedoch vergaßen, für ein ansprechendes Äußeres zu sorgen, was mich etwas überrascht, denn aus der Höhe des Sky Towers hatten die Wolkenkratzer durchaus abwechslungsreich gestaltet gewirkt. Von hier unten aber beschränkt sich ihr Äußeres meist auf ein langweiliges Einerlei endlos an- und übereinander gereihter zahlloser Fenster, das mich als Betrachter für die an den Fassaden angebrachten Werbetafeln fast schon wieder dankbar sein läßt, bringen sie doch wenigstens ein bißchen Abwechslung in die Versammlung gleichförmiger Wände. Allerdings frage ich mich, ob die Menschen in den Büros dahinter – Wohnungen werden es doch hoffentlich nicht sein? – nun überhaupt Tageslicht erhalten. Die Gleichgültigkeit ihrer Fassaden setzt sich auch in der Anordnung dieser Hochhäuser fort, denn zu dem Gelände, in dem sie stehen, haben sie keinerlei Bezug. Zwar ist das Gefälle der Victoria Street nicht eben übermäßig groß, doch auch nicht gänzlich unerheblich. Als ich mir aber die Wolkenkratzer anschaue, kann ich es dennoch so gut wie überhaupt nicht nachvollziehen. Ja, die meisten von ihnen scheinen es sogar nach Kräften ignorieren zu wollen, beharren sie doch eisern darauf, ihre Fassadenkanten streng horizontal auszurichten, ohne daran auch nur einen einzigen Abstrich in Form einer treppenartigen Abstufung zu machen, wie sie die historischen Bauten so bereitwillig vollziehen.

In der Victoria Street
Alt und Neu existieren in der Victoria Street in Auckland mehr oder weniger einträchtig nebeneinander.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Von der Federal Street, an deren Kreuzung mit der Victoria Street wir uns befinden, lenken wir unsere Schritte in Richtung Osten. Der Grund ist nicht die Tatsache, daß es für uns nun ein wenig bergab geht – auch wenn uns das durchaus nicht unwillkommen ist -, sondern daß in dieser Richtung der Albert-Park liegt, den wir auf unserem Stadtbummel als erstes Ziel auserkoren haben. Wir überqueren die Queen Street, was uns vom Westteil in den Ostteil der Victoria Street bringt. Die nahezu in Nord-Süd-Richtung verlaufende Queen Street dient im Zentrum Aucklands gewissermaßen als Straßenscheide. Zwar tragen sie kreuzende Verkehrswege meist durchgängig denselben Namen, allerdings erhalten sie westlich der Queen Street den Namenszusatz West, östlich davon wird ein East angehängt. Waren wir also eben noch auf der Victoria Street West unterwegs, legt sich nun die Victoria Street East unter unsere Füße. Beide Straßenteile haben eine voneinander völlig unabhängige Numerierung der an ihnen befindlichen Häuser. Die Wellesley Street, in der sich unser Hotel befindet, folgt ebenfalls diesem Benennungsschema.

Bereits zwei Querstraßen weiter findet die nun wieder ansteigende Victoria Street East an der Kitchener Street bereits ihr unverhofftes Ende, denn auf deren gegenüberliegender Straßenseite steigt das Gelände plötzlich steil an. Der dadurch entstehende Hang ist mit einer Vielzahl hoher Bäume besetzt, die einen weiteren Blick hinauf wirksam verhindern. An seinem unteren Ende beschneiden aus großen, natürlichen Steinen zusammengefügte Mauern diesen Hang und grenzen so ein Stück ebener Erde ab, auf dem sich ein langgezogenes Podest, aus Steinen derselben Art gebildet, befindet. Auf diesem ragen zwei schlanke, aus übereinandergestapelten Steinen bestehende Säulen meterhoch auf, die an ihrem oberen Ende durch, wie es von hier unten scheint, filigrane Drähte oder dünne, gebogene Metallstäbe miteinander verbunden sind. Die Steine, aus denen dieses von Chris Booth geschaffene Kunstwerk besteht, sind Basaltblöcke, die, so lese ich später nach, das in der Matauri Bay in Northland lebende Māori-Volk der Ngati Kura gestiftet und so dem Albert-Park, der an dem dahinterliegenden Hang beginnt, zu einem markanten Eingangstor verholfen hat.

Durchschreiten muß man dieses Tor allerdings nicht, um in den Albert-Park zu gelangen. Dafür ist es eindeutig zu sehr als Kunstwerk hier positioniert worden. Alle Wege führen sauber drumherum. Dafür müssen wir nun doch etwas mehr körperliche Fitneß zeigen, denn unser Weg in den Park hinein führt uns über eine Reihe von Treppen mit zahlreichen Stufen den Hang hinauf. Glücklicherweise ist es zwar sommerlich warm, aber nicht sonderlich heiß, und unter den vorwiegend einheimischen Bäumen, die in diesem Teil des Parks wachsen und wohl mehr als einhundert Jahre alt sind, ist es wunderbar schattig. Ihrem Alter angemessen, haben die prachtvollen Bäume weit ausladende und gewaltige Formen entwickelt.

Im Albert Park in Auckland
Diesen prächtigen Bäumen begegnen wir nach unserem Aufstieg in den Albert-Park.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Oben angekommen, stehen wir nun auf dem langgestreckten Bergrücken, auf dem sich der Albert-Park befindet. Im südöstlichen Parkbereich aus Sandstein bestehend, wird dieser Höhenzug am nordwestlichen Ende des Parks, in dem wir uns gerade befinden, durch einen der vielen Vulkane des Auckland Volcanic Fields ergänzt, dem man – wenig einfallsreich, aber naheliegend – den Namen Albert-Park-Vulkan gegeben hat. Daß wir auf einem potentiell feuerspeienden Berg stehen, entgeht uns bei unserem Aufenthalt hier allerdings völlig. Doch damit sind wir nicht allein. Bis ins Jahr 1859 hat niemand überhaupt auch nur etwas davon gewußt. Erst der in Esslingen am Neckar geborene Geologe, Naturforscher und Entdecker Ferdinand von Hochstetter erkannte bei seinem Besuch Aucklands in jenem Jahr den vulkanischen Ursprung dieses Areals. Der Grund liegt darin, daß es sich beim Albert-Park-Vulkan, der vor etwa 145.000 Jahren das einzige (und hoffentlich letzte) Mal ausgebrochen ist, um einen eher kleinen Vertreter seiner Zunft handelt – so klein, daß er von dem Sandsteinrücken, auf dem sich der überwiegende Teil des Parks befindet, sogar überragt wird. Der vollständige Bewuchs tut ein Übriges, um den Vulkan vor unseren Augen komplett zu verbergen.

Auf gut gepflegten Wegen beginnen wir unseren Rundgang durch die weitläufige Parkanlage. Nun, da wir einmal die Höhe des Bergrückens erklommen haben, läßt es sich wahrlich entspannt spazieren, denn dieser bildet hier eine Art Plateau, auf dem es kaum einmal eine Steigung gibt. Dies zog bereits in der Vergangenheit die Menschen an. Schon die Māori errichteten hier ein Dorf namens Rangipuke, später gar eine Siedlung namens Mangahekea, die jedoch in den 1740er Jahren ihr Ende fand. Als in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Briten kamen, hatten sie nichts Besseres zu tun, als hier eine frühe militärische Festung anzulegen – die sogenannten Albert Barracks. Das erhöhte Gelände war wohl bestens dafür geeignet, das umliegende Gebiet zu überwachen. Einige Bauten aus Holz und Mauerwerk, umgeben von einer Mauer aus Vulkangestein, das man in der Umgebung abgebrochen hatte – das war die Festung. Nun, daß es vulkanischen Ursprungs war, darüber machte man sich wohl damals keine Gedanken. Das stellte ja – wir erinnern uns – erst Ferdinand von Hochstetter einige Jahre später fest.

Nun, von all dem ist heute nichts mehr übrig, abgesehen von einem Rest besagter Mauer, der sich heute auf dem Gelände der nahen Universität von Auckland befindet. Die Festung wurde 1870 nutzlos, als das britische Regiment, daß hier stationiert war, abgezogen wurde. Fünf Jahre zuvor hatte Auckland den Status der Hauptstadt an Wellington verloren. Man riß die Gebäude ab und widmete das heutige Gelände der Grünanlage in ein Reservat um, das man dann in den 1880ern zu einem Park weiterentwickelte. Man schrieb – ein bei Politikern bis heute beliebtes Mittel, wenn eigene Ideen Mangelware sind – dafür einen Wettbewerb aus, den der Architekt James Slater gewann. Das heißt, er entschied den zweiten Wettbewerb für sich. Bereits in 1870er Jahren hatte man einen solchen ausgerichtet, den Siegerentwurf dann jedoch nicht umgesetzt. Warum, das weiß wohl heute niemand mehr. So entstand der Albert-Park nach den Entwürfen Slaters, und so existiert er heute noch, einschließlich einiger einzelner Bäume, die in der Zeit zwischen 1880 und dem Ersten Weltkrieg gepflanzt wurden.

Allzu groß ist sie nicht, diese Grünanlage im Herzen der Stadt, und so haben wir keine allzu weiten Wege zurückzulegen, um die herausragenden Punkte dieses Parks aufzusuchen. Wir kommen zunächst an einem kleinen Denkmal vorüber, das von einem schwarzen Metallzaun umgeben ist und Rätsel aufgibt. Auf einem Podest, das an einen Schrein mit bogenförmiger Öffnung erinnert, steht die kleine marmorne Statue einer jungen Frau, der eine merkwürdige Haube auf dem Kopf sitzt und die ein Kleidungsstück auf dem Leib trägt, welches mit seinen kurzen Beinen, den fehlenden Ärmeln und den Rüschen an einen altmodischen Badeanzug erinnert. Doch was hält sie da in der Hand? Sieht aus wie ein – Fisch? Dann wäre das große Etwas, das sich von ihren Händen durch ihre Beine zum Boden windet, vielleicht ein Netz? Soll diese Statue ein Fischermädchen darstellen? Im Badeanzug? Ich weiß es nicht. Vielleicht gibt ja die Plakette, die sich an dem Podest befindet, Aufschluß:

Erected
In Loving Remembrance Of
G. M. Reed. B. A.
of Auckland, Journalist.
„For the future in the distance
and the good that we can do.“
1901

Übersetzt heißt das:

Errichtet
In liebevollem Gedenken an
G. M. Reed. B. A.
aus Auckland, Journalist.
„Für die Zukunft in der Ferne
und das Gute, das wir tun können.“
1901

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Das etwas rätselhafte Denkmal für George M. Reed im Albert-Park in Auckland.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Also ein Denkmal, das ein Fischermädchen im Badeanzug darstellt und der Erinnerung an einen Journalisten gewidmet ist, der in Auckland ansässig war. Versteht das jemand? Ich nicht. Leider auch dann nicht, als ich später ein wenig darüber recherchiere. Dabei finde ich lediglich heraus, daß es sich bei dem Podest nicht um einen Schrein, sondern um einen Trinkbrunnen handelt, der aber wohl heute nicht mehr Betrieb ist. Wasser habe ich jedenfalls nirgendwo gesehen. Immerhin stellt das eine gewisse Beziehung zu dem Motiv des Fischermädchens her. Die Schöpfer des Brunnens waren die Architekten John Mitchell and Robert Watt, die Statue schuf William Parkinson, ein einheimischer Bildhauer. Nun gut. Und George M. Reed? Der war Journalist und Zeitungseigner in Auckland. Das war’s. Es bleibt rätselhaft.

Ein Stück weiter gelangen wir auf den großen Hauptweg des Parks, der diesem seine große Nord-Süd-Achse verleiht. Hier, am südlichen Ende stoßen wir auf etwas, das es früher häufiger in öffentlichen Grünanlagen gab, man aber heute kaum noch irgendwo vorfindet: einen Orchesterpavillon. In früheren Zeiten trafen sich die Menschen bei schönem Wetter in den Parks, um kleinen oder größeren Gruppen von Instrumentalisten, vielleicht auch Sängern zu lauschen, die in solchen Pavillons ihre Musik zu Gehör brachten. Eigentlich eine schöne Tradition. Warum eigentlich gibt es so etwas heute nicht mehr? Nun, Radios, Stereoanlagen, Computer und MP3-Player haben es möglich gemacht, die Musik mit nach Hause zu nehmen oder unterwegs zu hören – jederzeit, überall. Und ganz individuell. Was dabei leider auf der Strecke blieb, ist das gemeinschaftliche Erleben der Musik. Natürlich, wird so mancher gleich einwenden, ist das doch auch heute noch möglich. Doch entweder zahlt man dafür meist recht teuren Eintritt oder man lauscht Straßenmusikern in der Fußgängerzone, im U-Bahn-Eingang oder an anderen Orten, wo Menschen meist keinen Nerv für’s Musikhören haben und das Ambiente dem Genuß eher abträglich ist. Da wäre so ein Musikpavillon in einem schönen Park doch viel besser geeignet. Oft genug hat der Fortschritt eben auch seine mangelhafte Kehrseite.

Von dem Orchesterpavillon mit seiner zwiebelförmigen Spitze aus Blech auf dem Dach, der übrigens der älteste noch erhaltene Musikpavillon in der Region Auckland ist, spazieren wir den Hauptweg in nördlicher Richtung entlang. Links und rechts dehnt sich sauber gepflegter Rasen, auf dem einzelne, ausladende Bäume stehen – vermutlich jene aus den Anfangstagen des Parks. Gesäumt wird der Weg von hochgewachsenen Palmen mit schlanken, doch völlig kahlen Stämmen, die ein wenig wie hier aufgestellte Masten wirken. Vor uns führen einige Stufen zu einem weitläufigen Rondell, in dessen Mitte sich ein großer Schalenbrunnen befindet.

Was mir beim Näherkommen auffällt, ist, daß der Brunnen ausnehmend dunkel erscheint. Im hellen Sonnenlicht wirkt er fast schwarz. Nur Wasser kann ich nirgends erkennen. Sollte in einem Brunnen – insbesondere, wenn es ein Schalenbrunnen ist – nicht schon von weitem sichtbar Wasser von oben nach unten laufen? Als wir die paar Stufen zu dem Rondell erreicht haben, sie hinaufgestiegen sind und schließlich unmittelbar vor dem Brunnen stehen, kann ich erkennen, daß ich mich geirrt habe – zumindest ein wenig. Es gibt durchaus Wasser, allerdings nur in Form einer recht großen Pfütze inmitten des großen Brunnenbeckens, das jedoch weit davon entfernt ist, gefüllt zu sein. Ansonsten scheint der Brunnen im Wortsinne auf dem Trockenen zu sitzen. Warum, ist nicht festzustellen. Weder kann es an zu niedrigen Temperaturen liegen – es ist sommerlich warm – noch wird er gerade gereinigt. Vielleicht ist etwas kaputt?

Der viktorianische Brunnen im Albert Park in Auckland
Der gußeiserne viktorianische Brunnen bildet das Herzstück des Albert-Parks im Zentrum Aucklands.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Wie dem auch sei, ich schaue ihn mir trotzdem an. Unter künstlerischen  Gesichtspunkten ist er auch ohne Wasser durchaus sehenswert. Zwei Schalen unterschiedlicher Größe sind übereinander angeordnet, die kleinere oben. Unterhalb der großen Schale sind rings um den Sockel vier Statuen positioniert, die große Fische zeigen. Manche behaupten, es handle sich um Delphine, doch üblicherweise haben Delphine keine Schuppen. Auf diesen Fischen reiten Putten, von denen jede ein Horn bei sich hat, in das sie andächtig bläst. Ist der Brunnen in Betrieb, stoßen diese Hörner, so lese ich später, Wasser aus. Oberhalb der kleinen Brunnenschale steht eine weitere Statue – eine Frauenfigur, eine Darstellung der Aphrodite. Auch sie trägt ein Horn, das sicherlich ebenfalls Wasser speien kann. Schalen und Skulpturen sind ebenso wie der verzierte Schaft, an dem sie sich befinden, aus Gußeisen, was die dunkle Farbe des Brunnens erklärt. Über den Künstler, der ihn einst schuf, kann ich leider nichts herausbekommen, doch erfahre ich, daß der viktorianische Brunnen von Beginn an im Albert-Park zu Hause ist, nachdem man ihn extra dafür im Jahre 1881 aus Großbritannien importiert hatte.

Nur wenige Meter hinter dem Rondell mit dem Brunnen findet die Nord-Süd-Achse des Albert-Parks ihr Ende an dem großen Denkmal für Königin Victoria von Großbritannien. Man kann kaum in irgendeinen Winkel des ehemaligen britischen Empires reisen, ohne auf irgendetwas zu stoßen, was in Bezug zu dieser bedeutenden Monarchin steht. Das Denkmal, vor dem wir nun anhalten, zeigt sie in Lebensgröße, auf einem hohen, steinernen Sockel stehend. 1897 von Francis John Williamson geschaffen, wurde das bronzene Standbild zwei Jahre später hier enthüllt, um den sechzigsten Jahrestag der Krönung Victorias feierlich zu begehen. Es war die erste Statue der Königin in Neuseeland.

Der Park hat noch einige weitere Kunstwerke und Denkmale aufzuweisen, die wir auf unserem Spaziergang leider nicht alle auffinden. So entgehen uns bedauerlicherweise ein Marmor-Denkmal für den Burenkrieg und zwei edwardianische Marmorstatuen. An dem ebenfalls von Francis John Williamson geschaffenen, überlebensgroßen Marmorstandbild von Sir George Grey kommen wir zwar vorüber, übersehen es aber irgendwie – zumindest habe ich weder ein Foto noch eine Erinnerung daran -, da unsere Aufmerksamkeit offenbar von den beiden großen, ganz in der Nähe aufgestellten Feldgeschützen in Anspruch genommen wird, die man, als die Albert Barracks längst Geschichte waren, in den 1880er Jahren hier positioniert hatte, weil man Angst vor einer russischen Invasion bekam. Nun, an der Angst vor dem Russen hat sich bis heute, mehr als einhundert Jahre später, nichts geändert. Als Feindbild war er in angelsächsischen, heute westlichen Sphären stets außerordentlich beliebt, egal, welcher Staats- beziehungsweise Gesellschaftsform er auch immer gerade anhing. Überflüssig zu erwähnen, daß die befürchtete Invasion russischer Heerscharen hier am anderen Ende der Welt natürlich niemals stattfand.

Wir wenden uns nun der Ostseite des Parks zu, wo er von der Princes Street begrenzt wird. Bevor wir ihn dort verlassen, kommen wir an einer Ecke, die von zwei aufeinandertreffenden Wegen gebildet wird, zu einer riesigen Ansammlung von mit kleinen Mauern eingefaßten Blumenrabatten. Während links und rechts niedrige, sorgfältig gestutzte Hecken den Namen der Grünanlage bilden – ALBERT links, PARK rechts – stellen die in bunten Farben blühenden Anpflanzungen in der Mitte ganz offensichtlich eine riesige Uhr dar. Als ich nähertrete, entdecke ich auch die großen Zeiger, die über den Rabatten ihre Bahn ziehen. Unwillkürlich ziehe ich mein Mobiltelefon hervor, um die Zeit zu vergleichen. Tatsächlich, diese riesige Blumenuhr geht absolut genau. Siebzehn Minuten nach Eins. Was für ein wunderschönes gärtnerisches Kunstwerk! Dies ist um so bewundernswerter, als dieser pflanzliche, wenn auch elektrisch betriebene Zeitmesser bereits mehr als sechzig Jahre alt ist. 1953 wurde die Laidlaw Floral Clock geschaffen. Die Familie Laidlaw hatte sie anläßlich des ersten Besuch Königin Elisabeths II. in Neuseeland gestiftet.

Die Blumenuhr im Albert Park in Auckland
Die kolossale Blumenuhr im Albert-Park, nahe der Princes Street, geht absolut genau.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Wir verlassen den Albert-Park durch den nahegelegenen Ausgang und treten auf die Princes Street hinaus. Hier gelangen wir zu einer Reihe Wohnhäuser, die ganz offensichtlich schon älteren Datums sind. Ein unter einer prächtigen, hohen Palme aufgestelltes Schild macht uns mit einem von ihnen bekannt:

Princes St. Merchant House

steht darauf, verbunden mit dem Hinweis, daß es erhalten und gepflegt würde durch den Stadtrat von Auckland. Nun, das mag ich nicht recht glauben. Ich gehe davon aus, daß der Stadtrat von Auckland dies nicht höchstselbst erledigt. Er wird seine Leute dafür haben.

Die Merchant Houses – tatsächlich sind es fünf an der Zahl – ließen Ende des 19. Jahrhunderts reiche Bürger der Stadt hier für sich errichten. Die meisten von ihnen waren Geschäftsleute, woraus sich wohl der Name der Häuser ableitet: Kaufmannshäuser. Sie bevorzugten die Höhenlage des Albert-Parks, die sich damals – Auckland war noch viel kleiner als heute – eher am Stadtrand befand, als Wohnsitz – im wahrsten Sinne des Wortes abgehoben von der Geschäftigkeit des Stadtzentrums zu ihren Füßen, aber dennoch nicht allzu weit von diesem entfernt. Die fünf Häuser haben sich in unsere Zeit hinübergerettet, was sie allerdings nicht ihren reichen Besitzern verdanken. Denn als die Stadt anwuchs, verlegten sie ihre Wohnsitze alsbald an andere Orte. Viele der Merchant Houses wurden wieder abgerissen, doch die fünf, die wir nun vor uns sehen, fanden in den Jahren seitdem andere Eigentümer. Zuerst wurden sie in Pensionen umgewandelt, später zogen nacheinander verschiedene Institutionen ein und aus – bis heute. Das Gebäude in der Princes Street Nummer 29, welches uns von dem Schild unter der Palme so freundlich wie unvollständig vorgestellt wird, trägt den Namen „Hamurana“ – was nicht auf dem Schild steht – und besitzt eine hölzerne Fassade. Seine Vorderseite wird in ihrer gesamten Breite von einer großen Veranda im Obergeschoß eingenommen. Den von dieser überschatteten Bereich vor dem Untergeschoß hat man als Arkaden gestaltet. Das Haus gehört heute zur Universität von Auckland, deren City-Campus auf der gegenüberliegenden Straßenseite beginnt.

Und dieser wenden wir uns nun zu. Denn dort steht ein Gebäude, das mir bereits vom Sky Tower aus aufgefallen war und mein Interesse an dem Universitätsgelände geweckt hatte: der Uhrenturm.

Nun, eigentlich ist es nicht einfach nur ein Uhrenturm. Tatsächlich handelt es sich um ein großes Gebäude mit einem großen h-förmigen Haupttrakt und zwei sich links und rechts anschließenden Seitenflügeln. Der Turm, der dem Gebäude zu seinem Namen verholfen hat, erhebt sich in der Mitte des Haupttrakts. Rund im Grundriß, wirkt er mit seinen filigranen Verzierungen, die mich irgendwie an die Adern von Blättern erinnern, trotz seiner beachtlichen 54 Meter Höhe fast ein wenig fragil. Dieser Eindruck wird durch die von seinem Dach aufragenden Zierspitzen eher noch verstärkt. Die Uhr, die in einem Uhrenturm natürlich nicht fehlen darf, befindet sich unmittelbar unter der Dachkante, die sich in spitz zulaufenden Wellen rings um den Turm zieht.

Entworfen hat das im Jugendstil gehaltene Gebäude der Architekt Roy Alstan Lippincott. 1926 fertiggestellt, beherbergte es lange Zeit alle geisteswissenschaftlichen Fakultäten der Universität sowie die Bereiche Architektur, Jura und Musik. Man bezeichnete es daher lange Zeit als Old Arts Building, das Gebäude der alten Künste. Auch die Universitätsbibliothek und die Aula waren hier untergebracht. In den 1980er Jahren war dann schließlich eine umfassende Renovierung und Restaurierung erforderlich geworden. Damit verbunden war eine Umwidmung des Gebäudes, so daß sich heute die Räumlichkeiten des Vizekanzlers der Universität und weitere Verwaltungseinrichtungen darin befinden, desweiteren der Große Saal und der Ratssaal der Bildungseinrichtung. Da der alte Name nun nicht mehr so ganz paßte, bürgerte sich schließlich die Bezeichnung Clock Tower – Uhrenturm – ein.

Wir spazieren in nördlicher Richtung die Princes Street entlang. Weil wir jedoch nicht so recht Lust haben, nach all dem schönen Grün nun eine schnöde Straße entlangzuwandern, nehmen wir, nachdem wir den linken Seitenflügel des Clock Towers passiert haben, einen Fußweg, der nach rechts auf das Universitätsgelände führt, das seinerseits von üppigem Grün bewachsen ist. Weit müssen wir nicht gehen, da leuchtet zwischen den Bäumen und Büschen die beigefarbene, orange abgesetzte Holzfassade eines weiteren Gebäudes hervor, das von einem riesigen, schlanken Nadelbaum überragt wird, der sofort ins Auge fällt. Das Gebäude wirkt wie ein Wohnhaus aus dem vorigen Jahrhundert. Neugierig suchen wir zu seiner Frontseite zu gelangen.

Doch bevor wir dort ankommen, werden wir plötzlich abgelenkt. Direkt neben uns setzt unvermittelt ein außerordentlich lautes Zirpen ein. Im ersten Moment denke ich an eine Grille, ein Heupferdchen, doch bei dieser Lautstärke müßte es sich schon um ein regelrechtes Heuroß handeln. Und wenn ich es recht bedenke, trifft die Bezeichnung Zirpen auch nicht so recht das, was ich da gerade höre. Es klingt eher, als würde jemand einen dicken Stock über ein großes Waschbrett ziehen. Was ist das?

Neugierig spüre ich dem Geräusch hinterher, das immer wieder einmal pausiert, kurz darauf jedoch wieder mit unverminderter Lautstärke einsetzt. Schließlich entdecke ich am dünnen Stämmchen eines kleinen Baumes den Verursacher des, nun ja, Lärms: eine Zikade. Wie ich es vermutet hatte, ist das Insekt von beachtlicher Größe. Vorsichtig, um es nicht zu verschrecken, hebe ich meine Kamera und halte den eigentümlichen Sänger für die Nachwelt fest:

Eine Chorzikade
Chorzikaden wie diese sind in Neuseeland heimisch und weit verbreitet. Selbst in den Städten ist ihr lautes Zirpen zu gewissen Tageszeiten allgegenwärtig.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Wir schauen und hören der Zikade noch eine Weile interessiert zu, doch schließlich wenden wir uns wieder unserem eigentlichen Ziel zu: dem Gebäude mit der hölzernen Fassade.

Ein kleines, daran angebrachtes rundes Schild gibt uns Auskunft:

Old Government House

Designed by William Mason
„The first New Zealand Architect“
This building was built in 1856 by Mr. Hay for
£ 14.581. It replaced the original house on this
site built by Governor Hobson in 1841
and destroyed  by fire in 1848.
It remained a Vice-Regal Residence until
1969 when it was transferred
to the University.

Übersetzt heißt das:

Altes Regierungsgebäude

Entworfen von William Mason
„Der erste neuseeländische Architekt“
Dieses Gebäude wurde 1856 von Mr. Hay für 14.581 £ gebaut. Es ersetzte das ursprüngliche Haus an dieser Stelle, das 1841 von Gouverneur Hobson errichtet und 1848 durch ein Feuer zerstört wurde. Es diente bis 1969 als Vizeregierungsresidenz und wurde dann an die Universität übertragen.

Na, damit ist doch alles Wesentliche gesagt. Oder nicht? Nun, man könnte noch ergänzen, daß zum Zeitpunkt der Errichtung dieses Gebäudes Auckland die Hauptstadt des Landes war, was es notwendig machte, daß der Gouverneur hier eine Residenz hatte. Interessant ist auch, daß das Old Government House das erste Gebäude Neuseelands war, bei dem man sich die Mühe machte, die hölzerne Fassade so zu bearbeiten, daß sie den Eindruck vermittelte, aus Stein zu sein. Neun Jahre nach seiner Fertigstellung verlor Auckland seinen Hauptstadt-Status, da es ihn 1865 an Wellington abtreten mußte. Zwar war Auckland die größere der beiden Städte, aber Wellington lag einfach zentraler. Das Old Government House blieb dem Gouverneur allerdings als Vize-Residenz erhalten.

Als diese 1969 in ein anderes Gebäude im Stadtteil Mount Eden verlegt wurde, übergab man das Old Government House der Universität. Für uns ergibt sich daraus ein unmittelbarer Vorteil, denn als wir vor dem Haupteingang des Gebäudes stehen, stellen wir erfreut fest, daß die Hochschule unter anderem auch ein Restaurant beziehungsweise Café darin eingerichtet hat. Und da es nun schon weit über den Mittag hinaus ist, melden sich unsere Mägen mittlerweile vehement zu Wort. Wir zögern daher nicht lange und suchen uns einen der Tische aus, die vor dem Gebäude im Freien stehen. Schließlich haben wir einen schönen sommerlichen Februartag, da wollen wir natürlich nicht drinnen sitzen, wenn es sich vermeiden läßt. Kurz darauf stellen wir fest, daß wir doch hinein müssen, denn hier ist Selbstbedienung. Na gut, wir sind ja nicht verwöhnt. Dann holen wir uns unser Essen eben selbst. Im Inneren des Gebäudes müssen wir etwas suchen, um den Weg zum Essen zu finden. Er führt uns einmal durch das Innere des Hauses auf dessen andere Seite. Dort angekommen, haben wir etwas vor uns, was wir bereits gut aus unseren eigenen Studienzeiten an einer Universität kennen und wofür ich keineswegs den Begriff Restaurant oder Café gebrauchen würde. Was wir sehen, erinnert eher an eine Kantine.

Na, macht nichts. Wir suchen uns jeder ein Essen aus, bezahlen und tragen es den Weg zurück aus dem Gebäude hinaus an unseren Tisch. Über die Qualität kann ich eigentlich nicht viel sagen – die bleibt mir offenbar nicht in Erinnerung. Weder richtig gut noch richtig schlecht, das trifft es wohl am besten. Was sich mir jedoch einprägt, ist der Eindruck, daß mich im Inneren des Gebäudes kaum etwas daran erinnert, daß es sich dabei um einen ehemaligen Regierungssitz handeln könnte. Dies wird mir später bestätigt, als ich noch ein wenig mehr über das Old Government House herausfinden möchte. Ich erfahre, daß es nun hauptsächlich als Aufenthaltsraum für das Personal dient und eine Empfangssuite für den Rat der Universität, Wohnungen für Gastwissenschaftler, Räume für den Verband der Hochschulabsolventinnen und einen Hörsaal beherbergt. Um all dies in dem Haus unterbringen zu können, hat man dessen Inneres im Laufe der Zeit mehr und mehr verändert, um es an die Bedürfnisse der Lehreinrichtung anzupassen. Die Atmosphäre einer palastähnlichen Residenz ist dabei allerdings weitestgehend verlorengegangen. Wirklich schade.

Am Old Government House in Auckland
Von außen sieht das Old Government House in Auckland noch wie ein ehrwürdiger Gouverneurssitz aus dem vorigen Jahrhundert aus. Im Inneren ist davon allerdings nur noch wenig zu sehen.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Während wir hier draußen im warmen Sonnenschein sitzen, haben wir genug Zeit, uns umzusehen. Einige der Bäume auf dem Gelände rings um das Gebäude sind, wie es den Anschein hat, so alt wie das Old Government House selbst. Erneut fällt mir der riesige Nadelbaum auf, der es weit überragt. Es heißt, diese Norfolk-Kiefer habe Sir George Grey höchstpersönlich während seiner zweiten Amtszeit als Gouverneur in den 1860er Jahren gepflanzt. Nun, alt genug könnte sie dafür wohl sein.

Als wir schließlich unseren Weg über das Gelände der Universität fortsetzen, kommen wir an einem etwa drei Meter hohen Strauch vorüber, der hier am Rande eines Fahrwegs auf einer Rasenfläche wächst. Wunderschöne große, rosafarbene Blüten mit fünf Blütenblättern und einem langen Griffel, besetzt mit gelben Staubblättern, erblühen in großer Zahl rings um den gesamten Strauch, in dem ich einen engen Verwandten meines Chinesischen Roseneibischs, einer Hibiskus-Art, erkenne, der zu Hause mein Wohnzimmer verschönert und bei dem ich, wie ich leicht zerknirscht zugeben muß, nie so recht darüber nachgedacht habe, wo er eigentlich heimisch ist. Manchmal muß man eben erst ans andere Ende der Welt reisen, um etwas darüber zu lernen, was man zu Hause direkt vor der eigenen Nase hat…

Wenige Schritte weiter treten wir unter den Bäumen, die unseren Weg beschattet haben, hervor, passieren ein Tor in einem weißen Zaun und erreichen eine große Straßenkreuzung. Wir haben den City-Campus der Universität Auckland, den größten ihrer sechs Standorte, hinter uns gelassen – und keine Gelegenheit, dies zu bedauern. Denn schon an eben dieser Kreuzung, an der sich vier Straßen begegnen, finden wir zwei weitere Sehenswürdigkeiten der Stadt, die unsere Aufmerksamkeit unmittelbar auf sich ziehen.

An der Ecke Alten Road und Symonds Street reckt eine verhältnismäßig kleine Kirche ihren schönen Turm in die Höhe, der ein wenig so wirkt, als solle er die Kleinheit der Kirche unbedingt wettmachen, denn er scheint für sie ein wenig zu groß beziehungsweise zu hoch zu sein. Das tut der Schönheit seiner Architektur jedoch keinen Abbruch. Ein großes Schild, das man an der Seite der Kirche aufgestellt hat, informiert uns, daß wir hier die Kirche Saint Andrew’s vor uns haben, die nicht einfach nur ein presbyterianisches Gotteshaus ist, sondern die erste presbyterianische Kirche Aucklands. Tatsächlich ist sie, von 1847 bis 1850 errichtet, sogar die erste Kirche, die in der Stadt gebaut wurde. Bereits der erste Entwurf von Walter Robertson, dem der Kirchenbau entspricht, sah einen Turm und auch einen Säulengang vor. Doch bereits damals kam es so, wie es auch heute oft genug geschieht – die geplanten Kosten wurden massiv überschritten und man konnte sich Turm und Säulengang schlicht nicht mehr leisten. So soll die Kirche lange Jahre eher an eine Scheune erinnert haben als an ein Gotteshaus. Erst im Jahr 1882 konnten Turm und Säulengang ergänzt werden, basierten aber nun auf Entwürfen von Matthew Henderson.

Der Kirche schräg gegenüber auf der anderen Seite der Kreuzung, an der Ecke, die von den Straßen Anzac Avenue und Waterloo Quadrant gebildet wird, steht auf einer kleinen Erhebung ein trutziges Gebäude aus rotem Backstein, dessen Kanten und Fensterumrandungen mit weißen Steinen gefaßt sind. Wirkt es so schon ein bißchen wie eine kleine Festung, wird dieser Eindruck durch zwei zinnenbewehrte Türme noch verstärkt. Dieses neugotische Gebäude stammt aus der Mitte der 1860er Jahre und ist der Sitz des Obersten Gerichts Aucklands, des High Courts. Bereits als Gerichtsgebäude errichtet – die Gestaltung ist daher keineswegs zufällig gewählt, sondern war zu jener Zeit der bevorzugte Stil für solche Bauten im britischen Empire -, diente es seitdem nahezu ununterbrochen diesem Zweck.

Wir schlendern nun die Anzac Avenue entlang, die uns der Waterfront entgegenbringt, an der entlang wir zur Queen Street wandern wollen. Noch immer haben wir die Höhe, zu der wir bei unserem Eintritt in den Albert-Park aufgestiegen sind, nicht verlassen, doch als wir zwischen den Häusern, an denen wir nun entlanggehen – die Grünanlagen haben wir mit dem Gelände der Universität endgültig hinter uns gelassen -, weiter unten ein massives Gebäude erblicken, das ebenfalls schon einige Jahrezehnte gesehen haben dürfte, ist unser Interesse geweckt und wir nutzen die nächste Gelegenheit, über eine Abfolge von Treppen von der Höhe wieder herunterzusteigen. Kurz darauf stehen wir an der Beach Road – warum die wohl so heißt? Einen Strand gibt’s hier jedenfalls nicht – und blicken über einen großen Platz, an dessen anderer Seite sich das besagte Gebäude erhebt.

Über drei riesigen Bogenfenstern, die fast die gesamte Höhe des zweistöckigen Gebäudes einnehmen, ist in großen Lettern

RAILWAY STATION

zu lesen. Ein Bahnhof also. Zwischen den beiden Wörtern ist eine große Uhr zu sehen, die aber offenbar nicht mehr funktioniert, denn sie zeigt fünf Minuten vor fünf Uhr an, was keineswegs stimmen kann. Das ist für einen Bahnhof etwas ungewöhnlich, denn gerade dort ist doch die Kenntnis der aktuellen Uhrzeit für die zu den Zügen eilenden Reisenden von essentieller Wichtigkeit. Moment! Reisende? Die zu den Zügen eilen? Da sind keine! Abgesehen von abgestellten Autos sind Auffahrt und Vorplatz des Bahnhofs auffallend leer. Keine Menschenseele ist zu sehen.

Auckland Railway Station
Das ehrwürdige alte Bahnhofsgebäude der einstigen Auckland Railway Station.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Nun, das ist auch kein Wunder. Denn mit intensivem Zugverkehr ist an diesem alten Bahnhof, der, wie man der Aufschrift an seiner Vorderfront entnehmen kann, einst einfach Auckland Railway Station hieß, heute nicht mehr zu rechnen. Ende der 1920er Jahre errichtet und 1930 hier an der Beach Road eröffnet, ersetzte er einen einstigen Endbahnhof, der sich an der nicht allzuweit entfernten Queen Street befand, etwa dort, wo wir tags zuvor das Britomart Transport Centre vorgefunden hatten. Und dieses war es auch, das seinerseits im Jahre 2003 die Auckland Railway Station ablöste, so daß diese nach dreiundsiebzig Jahren im Dienst nun geschlossen wurde. Von ihren einst sieben Bahnsteigen wandelte man fünf in Abstellgleise um und behielt ganze zwei, die man bis zum heutigen Tag noch für Ausflugszüge, als Notreserve und als Endstation für den Fernverkehr des Northern Explorer nutzt. Um aber Verwirrung über den Bahnhofsnamen zu vermeiden – jeder würde unter dem Namen „Auckland Railway Station“ den Hauptbahnhof der Stadt vermuten -, führte man den nun sehr eingeschränkten Betrieb unter dem neuen Namen Strand Station fort.

Das einstige Bahnhofsgebäude, das William Henry Gummer einst im Beaux-Arts-Stil entworfen hatte, können die wenigen Fahrgäste allerdings nicht mehr nutzen, um die verbliebenen Bahnsteige zu erreichen. Das hatte man direkt nach der Schließung des Bahnhofs in ein Wohnhaus umgewandelt, dem man den Namen Grand Central Apartments gab und in dem zeitweilig ein Studentenwohnheim untergebracht war. Der Öffentlichkeit ist der Bau damit weitestgehend entzogen. Und das ist ein ausgesprochen trauriger Umstand, denn wie ich einschlägigen Beschreibungen des Gebäudes entnehme, war es einst eines von Aucklands repräsentativsten Gebäuden! Kunstvoll gestaltete öffentliche Räume und zahlreiche Einrichtungen und Geschäfte machten es zu einem wichtigen öffentlichen Ort der Stadt. Besonders beeindruckend war wohl die prächtige Metalldecke in der Haupthalle, die man in Deutschland herstellen ließ. Die Teile wurden nach ihrer Fertigstellung verschifft und an Ort und Stelle zusammengesetzt. Importierter Marmor und feine Bronzedetails mit einem wunderschönen Terazzoboden hatten das prunkvolle Erscheinungsbild des Bahnhofsgebäudes vervollständigt. All das bekommen wir nun nicht zu sehen – wenn es denn überhaupt noch vorhanden ist.

Wir gehen die Beach Road entlang, bis sie endet und in die Customs Street übergeht, die hier ein „East“ angehängt bekommt – ein Zeichen, daß wir wohl nicht mehr allzuweit von der Queen Street entfernt sind. Und richtig, ein paar Minuten später haben wir sie erreicht, biegen rechts in sie ein und stehen alsbald vor dem alten, ehrwürdigen, amtlich aussehenden Gebäude mit der großen Uhr über dem Eingang, das einst das Hauptpostamt der Stadt war und heute als Empfangshalle des Britomart Transport Centres dient. Wir werfen einen Blick hinein und ich stelle fest, daß das Erdgeschoß aus einem riesigen Saal besteht, der von der Vorder- bis zur Rückseite des Gebäudes reicht. Die Decke ruht auf zahlreichen runden Säulen, ergänzt um einige viereckige Pfeiler, die als Basis jeweils einen stählernen Fuß besitzen. Kleine, in die Halle hineingebaute Kioske verkaufen Sandwiches, Lebensmittel oder Fahrkarten, es gibt eine Cafeteria, deren Sitzbereich in der Mitte der Halle auf einem um drei Stufen erhöhten Podest liegt, wo sich auch ein Wartebereich mit mehreren Bänken befindet. Eine große Anzeigetafel, die die nächsten Abfahrtszeiten der Züge verkündet, fehlt natürlich auch nicht. Alles in allem war es das aber auch schon.

Ein Bahnhof ist allerdings nirgends zu sehen, was uns aber nicht weiter verwundert, denn wir wissen ja bereits, daß er sich im Untergrund befindet. So sind wir auch nicht überrascht, als wir an der Rückseite des Gebäudes eine breite Treppe vorfinden, die in die Tiefe hinabführt. Um die Hinauf- und Hinabsteigenden ausreichend vor der Witterung zu schützen, hat man hier an das alte Hauptpostamt einen modernen Glaswürfel angebaut, der den Einstieg in den Untergrundbahnhof umhüllt.

Als Eisenbahnliebhaber müssen wir natürlich wenigstens einmal einen Blick in den unterirdischen Bahnhof geworfen haben, und so steigen wir kurzerhand die Treppe hinunter. Unten angekommen, versperrt uns eine Batterie von Bahnsteigsperren den Weg zu den Gleisen, doch wir können den Bahnhof auch so ganz gut überblicken. Drei Bahnsteige, fünf Gleise, alle nebeneinander in einem breiten Tunnel angeordnet. Wir stehen am Kopf des Bahnhofs, die Gleise enden direkt vor uns an Prellböcken. Ein Kopfbahnhof also, dessen Ausfahrt in Richtung der alten Auckland Railway Station liegt. Nun, das verwundert auch nicht.

Die Decke des Tunnels ist recht hoch, senkt sich über den beiden äußeren Gleisen jedoch ab. Das ermöglicht es, daß die den Bahnhof erhellenden Lampen nicht nur in die Decke eingelassen werden konnten, sondern sich auch in der so entstehenden Seitenwand des abgesenkten Deckenbereichs befinden. Tagsüber bekommt der Bahnhof überdies noch Licht aus mehreren Oberlichtern, die sich hintereinander in der Mitte der Tunneldecke befinden. Eines ist direkt vor den Bahnsteigsperren über uns plaziert. Als ich hinaufschaue, stelle ich fest, daß es ein Okulus ist – ein kreisrundes Deckenfenster. Merkwürdig finde ich allerdings, daß der Blick durch die Scheiben keineswegs klar ist, sondern das sich eigentümliche Schlieren über das Glas zu bewegen scheinen. Ich kann mir keinen rechten Reim darauf machen.

Während wir wieder zur Oberfläche hinaufsteigen, grüble ich weiter darüber nach, finde aber keine Erklärung. Das soll sich jedoch schlagartig ändern, als wir den Glaspavillon über der Treppe erreicht haben und an seiner Rückseite das Bahnhofsgebäude verlassen. Wir stehen nun auf einem Platz, der hinter dem alten Hauptpostamt liegt. Bahnhofsvorplatz kann man ihn daher wohl nicht nennen. Gibt es ein entsprechendes Wort für die hiesige Situation? Bahnhofsrückplatz vielleicht? Ich komme nicht dazu, mir andere Wörter zu überlegen, denn nun fällt mein Blick auf einen Brunnen, der sich in der Mitte der Freifläche befindet. Er ist kreisrund und nur etwa einen halben Meter hoch. In seiner Mitte befindet sich keine Fontäne, sondern das Wasser wird von dort befindlichen Düsen auf eine ebene Fläche gesprüht. Unter dem Druck rinnt es zu deren Rand, wo es in einer Vertiefung wieder verschwindet. Die runde Fläche allerdings besteht – aus Glas. Das ist das Okulus – und des Rätsels Lösung! So einfach, so genial.

Das Britomart Transport Centre in Auckland
Ein gut getarntes Fenster in die Unterwelt – der Brunnen am Britomart Transport Centre.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Wir wandern um das Empfangsgebäude des Britomart Transport Centres herum zurück zur Queen Street. Der Name des Bahnhofs geht auf eine einstige Landspitze namens Point Britomart zurück, die sich früher an dieser Stelle im Waitematā Harbour befand, im Zuge von Landgewinnungsmaßnahmen jedoch verlorenging. Mit anderen Worten: Dort, wo heute Hochhäuser links und rechts der Queen Street in den Himmel ragen, schwappten einst die Wellen des Waitematā Harbours hin und her. Nun ergibt es auf einmal auch einen Sinn, daß die Straße, die wir vorhin hierher entlanggewandert waren, den Namen Beach Road trägt. Der „Strand“ hatte sich zu jener Zeit tatsächlich viel weiter landeinwärts befunden als heute.

Daß man Anfang der 2000er Jahre das Britomart Transport Centre hier in den Untergrund baute, wurde dadurch motiviert, daß man die Auckland Railway Station als zu weit von der Innenstadt entfernt befand. Dies soll bereits bei deren Eröffnung als Hindernis empfunden und kritisiert worden sein. Dennoch blieb sie mehr als siebzig Jahre in Betrieb, bis man der anhaltenden Kritik nachgab und die Eisenbahn an den Ort zurückbrachte, an dem sie früher ihren Anfang genommen hatte. Manche Dinge dauern eben manchmal etwas länger…

Wir spazieren nun hinüber zur Waterfront an der Quay Street, wo wir erneut den Roten Zaun bewundern. Diesmal zieht es uns jedoch nicht hinaus auf die Piers. Der Tag ist noch immer jung genug, um uns noch ein weiteres Ziel zu setzen. Und dafür müssen wir als nächstes zum Fährterminal hinter dem Ferry Building…

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Auf dem Himmelsturm

Dieser Beitrag ist Teil 3 von 10 der Beitragsserie "Reise nach Neuseeland & Singapur"
Wie ich auf Auckland herabsah

Der nächste Morgen findet uns ausgeruht und bereit, die Stadt ausgiebig zu erkunden. Zu Beginn unserer ersten Nacht in Neuseeland hatte es noch kurz so ausgesehen, als könnte sie etwas unruhig und schlaflos werden, da ich feststellen mußte, daß die Klimaanlage, die wir zur Vermeidung stickiger Luft im Zimmer angestellt hatten – die Fenster ließen sich ja leider nicht öffnen -, in regelmäßigen Abständen kühle Luft direkt auf meine Liegestatt hinab- und mir ins Gesicht blies – ein Umstand, der mich beim Hinüberdämmern in den Schlaf immer wieder aufschrecken ließ, so daß an Ruhe nicht so recht zu denken war. Doch ich machte dem nach einiger Zeit kurzentschlossen ein Ende, indem ich aufstand und das Lüftungsgerät einfach ausschaltete. Lieber etwas stickige Luft als keinen rechten Schlaf. Glücklicherweise erwies sich unser Zimmer als groß genug, daß es dennoch zu keinem Sauerstoffmangel kam. Und auch die Luftqualität blieb alles in allem erträglich.

So war die Nacht dann doch erholsam gewesen, und nun stehen wir nach einem guten Frühstück, das wir in unserem Hotel eingenommen hatten, frohen Mutes auf der Straße und schauen dem morgendlichen Verkehr zu, während wir warten, daß die Ampel uns den Weg über die Albert Street freigibt. Weit haben wir es nicht, nur ein Stück die Wellesley Street West entlang bis zur nächsten Querstraße, die wir dann allerdings noch ein kleines Stück entlanggehen müssen. Doch bereits an der Ecke zur Federal Street – so heißt die Querstraße – ist das Ziel unseres kurzen Weges nicht zu übersehen, ragt es doch satte 328 Meter vor uns in die Höhe: der Sky Tower inmitten des Stadtzentrums von Auckland.

Der Sky Tower in Auckland
Hoch in den blauen Himmel eines herrlichen Morgens ragt er auf, der Sky Tower im Zentrum Aucklands.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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„Sollt‘ Dir die Gegend unklar sein,
hol einen Überblick Dir ein.“

Nach diesem Motto wollen auch wir verfahren und uns diesen Überblick im Wortsinne verschaffen, indem wir unseren ersten Tag in Auckland damit beginnen, dieses höchste freistehende Bauwerk der südlichen Hemisphäre zu erklimmen. Doch bevor wir das tun, erregt noch ein anderes, unserer Position an der Straßenecke der Federal Street näheres Bauwerk unsere Aufmerksamkeit. Trutzig steht es dort auf der anderen Seite der Wellesley Street West und reckt ebenfalls einen mächtigen Turm nach oben. Der kann zwar, was die Höhe angeht, mit dem schlanken Sky Tower keineswegs mithalten, doch dieses Manko macht er durch sein massives Erscheinungsbild ohne weiteres wett. Wo der eine durch seine graziöse Eleganz bedeutend wirkt, die jedoch nur in Verbindung mit seiner Höhe zum Ausdruck kommt, tut es der andere allein durch seine Wuchtigkeit.

Doch nicht nur ihre unterschiedlichen Formen machen den Gegensatz zwischen den beiden Türmen aus. Ebenso augenfällig wie jene ist auch die Tatsache, daß sie durch ein knappes Jahrhundert voneinander getrennt werden. Der trutzige Turm uns gegenüber gehört zum Gotteshaus Saint Matthew in the City, einer anglikanischen Kirche, deren Errichtung man zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts begann und die man 1905 fertigstellte. Den neugotischen Stil, in dem sie gehalten ist, kann man kaum übersehen. Was ich zwar nicht bemerke, doch später erfahre, ist, daß das Kirchengebäude in seinen Mauern einen rund 1.300 Jahre alten Stein birgt, der aus den Ruinen der Abtei Sankt Augustinus in Großbritannien stammt, eines Klosters, das nicht nur das erste im südlichen England war, sondern auch die erste Gründung darstellte, die der Benediktiner-Orden außerhalb des kontinentalen Europas vornahm.

Was Historie angeht, so kann der elegant-moderne Sky Tower dem natürlich nichts entgegensetzen, ist mit seinem Bau doch erst im Jahre 1994 begonnen worden. Drei Jahre hat es gedauert, bis er fertig war. Nur drei Jahre, ergänze ich in Gedanken. Warum scheint eigentlich die Errichtung  neuer Bauwerke, egal, ob unter oder auf der Erde, in anderen Ländern der Welt immer so viel schneller vonstattenzugehen, als wir das in Deutschland stets erleben? Es kann mir doch keiner erzählen, daß so ein Fernsehturm, der immerhin Platz 28 auf der Rangliste der höchsten Türme der Welt einnimmt, so viel einfacher zu bauen ist als beispielsweise ein Flughafen, ein Bahnhof oder eine Philharmonie?

Aber lassen wir das. Wir spazieren die wenigen Meter die Federal Street entlang, die uns vom Sky Tower noch trennen. Als wir dort ankommen,  schaue ich den Schaft des Turmes hinauf, der über mir in den stahlblauen Himmel ragt. Beeindruckend.

Weniger beeindruckend ist die unmittelbare Umgebung des Turmes. Er steht inmitten eines Unterhaltungs- und Kasinokomplexes namens „Skycity Auckland“, in dem allerdings um diese Tageszeit nicht sonderlich viel los ist. Unterhaltung und Glücksspiel sind doch eher Abend- als Morgenbeschäftigungen. Nun, uns ist das egal – wir wollen sowieso in höhere Sphären. Der Eingang ist schnell gefunden, auch die Tickets zu erwerben, ist keine große Sache. Und so stehen wir alsbald in einem der Fahrstühle, der uns den Turm hinaufbringt. Als ich vorhin von Erklimmen sprach, hat doch hoffentlich niemand angenommen, wir würden da zu Fuß hinauflaufen?

Während wir hinauffahren, ist etwas Zeit, um uns ein wenig über den Turm zu informieren. Zwei Aussichtsplattformen gibt es, so erfahren wir. Die erste ist auf einer Höhe von 186 Metern zu finden, die zweite liegt noch einmal 34 Meter höher. Dazu kommen noch ein Café und zwei Restaurants, von denen eines eine Eigenschaft besitzt, die den Sky Tower mit dem Berliner Fernsehturm verbindet: es rotiert. Einmal in der Stunde absolviert es eine komplette Umdrehung. Nun, das werden wir eher nicht überprüfen, denn wir begnügen uns mit dem Besuch der Aussichtsplattformen.

Als wir im sogenannten Main Observation Deck – der unteren der beiden Aussichtsplattformen – aus dem Fahrstuhl steigen und das erste Mal einen Blick aus den großen Panoramafenstern werfen, stockt uns schon ein wenig der Atem. 186 Meter über dem Boden – das klingt nicht nach besonders viel, doch wenn man hier oben ist, dann ist das auf einmal ganz schön hoch! Doch die Aussicht ist phantastisch.  Das Wetter ist für unseren Ausflug auf den Turm wie gemacht – der Himmel leuchtet tiefblau und schmückt sich mit zahllosen mehr oder minder kleinen weißen Wölkchen. Ein wahrlich hübscher Anblick, und das nicht nur am Himmel selbst. Die freundlich von dort herablächelnde Sonne sorgt dafür, daß die Wolken auch auf der Stadt, die sich im weiten Rund um und unter uns ausbreitet, ihre Spuren hinterlassen, und zwar in Form kleiner und großer Schatten. Das resultiert in einem scheckigen Muster, das in einer permanenten Bewegung über die Erdoberfläche zieht und sich dabei ständig verändert. Allein dabei zuzusehen, ist schon faszinierend.

Dasselbe gilt für die Stadt selbst. Von hier oben können wir sie zur Gänze überblicken. Eine gute Möglichkeit, sich zu orientieren – ein bißchen so, als würden wir auf eine dreidimensionale Landkarte blicken. Doch bevor wir das tun, müssen wir uns ganz dringend einer anderen Attraktion widmen, die wir bei unseren ersten Schritten durch das Main Observation Deck entdecken. An einigen Stellen sind in dessen Boden Glasplatten eingelassen. Neugierig treten wir näher an eine heran, blicken auf sie herab und … sehen den Boden unter uns. Also nicht den der Aussichtsplattform, in der wir uns befinden, sondern den Erdboden. Mit den Gebäuden rings um den Turm. Und den Straßen. Den Menschen. Den Autos.

Der Glasboden im Sky Tower in Auckland
Zwei Füße – meine Füße – über jeder Menge leerer Luft. Ganze 38 Millimeter Glas trennen sie von 186 Metern Nichts und dem Erdboden dahinter.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Ein Glasboden! Großartig! Ich bin begeistert. Kurz darauf stehe ich auf einem der Felder, zücke meinen Fotoapparat und mache ein Foto von meinen Füßen über jeder Menge leerer Luft. Als ich kurz darauf wieder aufblicke, bemerke ich einige zweifelnde Blicke, die mir von Umstehenden zugeworfen werden. Habe ich was falsch gemacht? Darf man das nicht? Ich schaue mich um, kann aber keinen Hinweis darauf entdecken, daß es verboten sein könnte, auf die Glasplatten zu treten. Kurz über ihnen finde ich an der Wand lediglich kleine Schilder, auf denen folgendes zu lesen ist:

This glass floor is 38mm thick.
IT IS AS STRONG AS THE CONCRETE
FLOORS YOU ARE STANDING ON.“

Übersetzt heißt das:

Dieser Glasboden ist 38 Millimeter dick.
ER IST SO STARK WIE DER BETONBODEN,
AUF DEM SIE STEHEN.

Na also. Keine Gefahr. Und auch kein Verbot. Ich beantworte die Blicke mit einem freundlichen Lächeln, worauf sie sich schnell von mir abwenden. Ich beobachte, wie die Leute, die mich eben so zweifelnd betrachtet hatten, zwar neugierig versuchen, durch die Glasplatten in die Tiefe zu blicken, es aber tunlichst vermeiden, auch nur einen Millimeter darauf zu treten. Sie scheinen der Versicherung, daß es völlig ungefährlich ist, darauf zu stehen, nicht so recht zu trauen. Man kann ja nie wissen…

Nun, sollen sie. Man wird ja hier zu nichts gezwungen. Ich wende mich nun der phänomenalen Aussicht vor den Fenstern der Aussichtsplattform zu. In nördlicher Richtung breitet sich vor mir die Wasserfläche des Waitematā Harbours aus. Der Blick reicht dabei von seinem Ende im Landesinneren im Westen bis zu seiner Mündung in den großen Hauraki-Golf im Osten, von dem er ein Teil ist. Dort führen zwei Kanäle zum Hauptteil des Golfs hinüber. Die Stelle, an der sie sich voneinander trennen, wird durch eine große nahezu runde Insel markiert, in deren Mitte sich ein markanter Gipfel erhebt: der Rangitoto auf der nach ihm benannten Insel Rangitoto Island. Im Gegensatz zum Stadtgebiet erscheint diese in einem dunklen, satten Grün. Eine Spur von Bebauung ist dort nirgends auszumachen. Ich mache mir eine gedankliche Notiz dahingehend, daß wir nach Möglichkeit einen Besuch dort einplanen sollten. Auf unserem Spaziergang tags zuvor hatte ich am Fährterminal hinter dem Ferry Building gesehen, daß Fähren dorthin abgingen. Also sollte es keine allzu große Schwierigkeit darstellen, die Insel aufzusuchen und zu besichtigen.

Geradezu dehnt sich hinter dem Waitematā Harbour eine große, etwas zerklüftet wirkende Halbinsel aus. Dort ist zwar auch viel Grün auszumachen, doch ist die dichte Bebauung nicht zu übersehen. Dort liegen Devonport und Takapuna – Ortsteile von North Shore City. Es ist noch gar nicht so lange her, daß dies die viertgrößte Stadt Neuseelands war. Im Jahre 2010 hat man jedoch beschlossen, eine Art Äquivalent zur Schaffung von Groß-Berlin im Jahre 1920 zu vollziehen und einige bis dahin eigenständige große und kleine Orte in Auckland einzugemeinden. Auckland Council entstand, das aber sicherlich – außer in Amtsgeschäften – niemand so nennt. All das ist nun einfach Auckland.

Auf dem Sky Tower in Auckland
Das prächtige Panorama des Waitematā Harbour breitet sich zu Füßen des auf dem Sky Tower weilenden Betrachters aus.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Daß man, wenn man dort hinüber will, am besten die Fähre nimmt, um möglichst schnell auch dort anzukommen, das wird von hier oben offenkundig. Selbst aus dieser Perspektive ist es schwierig, jede Windung des Ufers des großen Waitematā Harbours auszumachen, der sich bis tief ins Landesinnere in unzählige kleinere und größere Seitenbuchten verzweigt. Da drumherumfahren zu müssen, kostet sicher reichlich Zeit. Diese läßt sich natürlich auch verkürzen, indem man die Auckland Harbour Bridge benutzt, die sich nicht allzuweit vom Stadtzentrum entfernt über den großen Naturhafen schwingt. Allerdings ist, so lese ich später, diese anfangs vierspurige Brücke seit ihrem Bau ein verkehrstechnisches Nadelöhr, so daß man sie bereits einmal erweitern mußte, indem man links und rechts zusätzliche Fahrbahnen mit jeweils zwei weiteren Spuren anbaute, was das Problem allerdings nicht auf Dauer lösen konnte. Also doch lieber die Fähre.

Von hier oben kann ich die Brücke nun in ihrer ganzen Länge sehen, die immerhin stolze 1,15 Kilometer beträgt. Nur ein kleiner Teil zwischen zweien der insgesamt sechs Brückenpfeiler weist die hohen stählernen Bögen auf, die mich gestern eine gewisse Ähnlichkeit zur Sydney Harbour Bridge hatten erkennen lassen. Nun, in ihrer Gesamtansicht, ist diese Ähnlichkeit nicht mehr ganz so groß.

Direkt zu unseren Füßen liegt rings um den Turm die Innenstadt Aucklands, auch Central Business District genannt. Und ein zentrales Geschäftsviertel ist dies in der Tat, wie die zahlreichen Hochhäuser beweisen. Einige von ihnen hatten wir uns ja schon auf unserem gestrigen Bummel durch die Queen Street von unten besehen können. Daß sie nicht die Höhe der Wolkenkratzer anderer Großstädte der Welt erreichen, war uns dabei bereits aufgefallen. Dennoch stellen sie eine durchaus beeindruckende Versammlung dar, wenn ich sie jetzt so von oben betrachte. Und auch wenn ich historische Bauten aufgrund ihrer größeren Ästhetik, ihres schöneren baulichen Schmuckes und ihrer oft ganz eigenen, nun, nennen wir es Persönlichkeit vorziehe, so muß ich doch zugeben, daß diese nadelartigen Gebäude hier zumindest einen gewissen gefälligen Abwechslungsreichtum aufweisen, was ihre äußere Gestaltung angeht. Diese liegt jedenfalls weitab von dem eintönigen Einerlei der Bürogebäude, die man heutzutage in Berlin für gewöhnlich so errichtet. Woran das wohl liegt?

Wie dem auch sei, dadurch fühle ich mich sogar bemüßigt, das eine oder andere Foto eines Wolkenkratzers zu schießen, sei es wegen seiner originellen Form oder wegen der interessanten Spiegelungseffekte in seiner Glasfassade.

Die Aussicht von hier oben ist in allen Richtungen gleichermaßen ausgezeichnet. Das Main Observation Deck ist so gestaltet, daß man einen uneingeschränkten 360-Grad-Rundblick genießen kann. Man muß einfach nur an den großen Fenstern entlanggehen, die sich an seiner Außenseite entlangziehen. Und genau das tue ich jetzt, wobei ich mich entgegen dem Uhrzeigersinn bewege.

Nach Westen und Süden hin dominieren eher niedrige Bauten das Stadtbild. Viele ein- bis zweistöckige Häuser sind in den einzelnen Stadtteilen zu sehen, die so malerische Namen wie Saint Marys Bay, Herne Bay, Freemans Bay oder Ponsonby und Grey Lynn tragen.  Hochhäuser gibt es hingegen nur sehr vereinzelt. Im Südwesten wird der Waitematā Harbour schließlich in der Ferne durch eine Bergkette abgelöst – die Waitākere Ranges. Ihre tiefgrünen Hänge deuten auf eine waldreiche Gegend hin.

Als sich mein Blick schließlich nach Süden richtet, entdecke ich eine weitere Wasserfläche am Horizont. Auckland besitzt ja die einzigartige Eigenschaft, gleichzeitig an der Ost- und an der Westküste der Nordinsel Neuseelands zu liegen. Und das ist von hier oben zu sehen. Diese Wasserfläche ist nämlich der an der Westküste gelegene Manukau Harbour, der zweitgrößte Naturhafen Neuseelands. Daß er größer als der Waitematā Harbour an der Ostküste ist, kann ich aufgrund seiner größeren Entfernung vom Stadtzentrum nicht wirklich sehen. Was ich beim Weitergehen hingegen bemerke, ist, daß sich im Stadtgebiet nun mehr und mehr einzelne Erhebungen zeigen. Hier eine, dort eine. Die meisten sehen eher wie kleine Hügel aus, einige erreichen aber auch größere Höhen, so daß sie doch recht deutlich hervorstechen. Der höchste dieser Hügel – es ist der Mount Eden – zeigt, als ich ihn mit meinem Teleobjektiv näher zu mir heranhole, einen ausgeprägten Krater, der ihn sofort als Vulkan erkennbar macht.

Es ist schon ein etwas merkwürdiges Gefühl, daß sich in meiner Bauchgegend breitmacht, als ich so unmittelbar daran erinnert werde, daß Auckland auf einem riesigen vulkanischen Feld errichtet wurde. Neueste Forschungen haben ergeben, daß es von dreiundfünfzig Vulkanen gebildet wird, von denen sich die meisten im Stadtgebiet befinden. Gemeinhin geht man davon aus, daß sie nach ihrem Ausbruch erkaltet sind und somit in der Zukunft kein Feuer mehr speien werden. Das ist doch beruhigend, nicht wahr?

Nun, wie so oft im Leben gibt es ein Aber. Und in diesem Fall ist es ein sehr großes Aber. Zunächst wäre zu sagen, daß es sich bei der Vorhersage, daß die Berge auf dem Auckland Volcanic Field nicht wieder ausbrechen werden, nur um eine Annahme handelt. Sicherlich eine gut begründete Annahme, aber eben doch nur eine Annahme. Absolut sicher ist sich da niemand. Und wer davon nicht beunruhigt wird, für den gibt es noch eine zweite, die besagt, daß man davon ausgeht, daß Eruptionen jederzeit an einer anderen Stelle des Vulkanfeldes möglich sind. Man hat sogar ausgerechnet, wie wahrscheinlich es wohl ist, daß ein im Jahr 2008 in Auckland geborenes Kind, für das man eine Lebenserwartung von achtzig Jahren angenommen hat und das sein Leben lang in der Stadt bleibt, hier einen Vulkanausbruch erlebt. Acht Prozent. Sagen die Wissenschaftler. Ist doch gut zu wissen, oder? Da kann man doch planen.

Der Mount Eden in Auckland
Der Mount Eden ist mit seinen 196 Metern der höchste der Vulkankegel im Stadtgebiet Aucklands. Sein Krater ist überdeutlich zu erkennen.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Für einen Moment bricht sich in mir die Vorstellung Bahn, daß sich plötzlich vor meinen Augen mitten in der Stadt die Erde auftut und ein Lavastrom hervorbricht, der einen neuen Vulkankegel formt. Und was ist eigentlich, wenn das Ganze auch noch mit dem reichlich vorhandenen Meerwasser in Kontakt kommt? Doch dann reiße ich mich am sprichwörtlichen Riemen und schüttle diese Bilder schnell ab, die dann doch ein ganz klein wenig zu dystopisch für meinen Geschmack sind. Ich gestatte mir noch kurz den Gedanken, daß ich eher bezweifle, diese Stadt, so schön sie auch sein mag, als Wohnort für meinen Lebensabend in Betracht zu ziehen; dann wende mich Erfreulicherem zu.

Links hinter dem Mount Eden bemerke ich einen weiteren der Vulkane, auf dem eine Art Denkmal oder eine Statue oder etwas in der Art zu stehen scheint. Genau erkennen kann ich es wegen der großen Entfernung nicht. Also nehme ich wieder mein Teleobjektiv zu Hilfe – praktisch, so ein Ding, taugt auch als Fernglas; wenn es nur nicht so schwer wäre – und besehe mir die Sache näher. Es ist ein Obelisk. Sofort fallen mir die Illuminaten ein. Ich habe definitiv zuviel Dan Brown gelesen…

Nein, mit den Illuminaten hat dieser Obelisk ganz sicher nichts zu tun. Er steht dort als Erinnerung an das einhundertjährige Jubiläum der Unterzeichnung des Vertrages von Waitangi. Durch diese Vereinbarung – in der Sprache der Māori als „Te Tiriti o Waitangi“ bezeichnet -, die am 6. Februar 1840 vom Captain der Royal Navy William Hobson als Konsul für die britische Krone und zahlreichen Chiefs der Māori-Klans unterzeichnet wurde, gelangte Neuseeland in den Status einer britischen Kolonie. Bemerkenswert ist, daß darin festgehalten ist, daß die britische Krone das Eigentum der Māori an ihren Ländereien, Wäldern und anderen Besitztümern anerkennt und ihnen die Rechte britischer Untertanen gewährt. Der Vertrag stellt die älteste Verfassungsurkunde Neuseelands dar und ist auch heute noch anwendbares Recht. Benannt ist er nach dem Ort der Unterzeichnung.

Der One Tree Hill in Auckland
Ein einzelner Obelisk ragt anstelle eines Baumes auf dem One Tree Hill in den Himmel. Man sagt, die Einwohner der Stadt würden den Hügel auch als „No Tree Hill“ bezeichnen.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Der Berg, auf dem der Obelisk steht, trägt den Namen One Tree Hill, was Ein-Baum-Berg bedeutet. Das ist einigermaßen merkwürdig, denn soweit ich sehen kann, gibt es auf dem Gipfel nur den Obelisken, aber keinen Baum. Erst etwas tiefer an den Hängen sind vereinzelt Bäume anzutreffen. Nun, zum Zeitpunkt der Namensgebung soll es dort wohl genau einen Baum gegeben haben. Es ist anzunehmen, daß das stimmt, andernfalls ergäbe der Name des Berges überhaupt keinen Sinn. Wie so oft, wenn die Briten in Neuseeland Dinge benannt haben, hat ihre Bezeichnung mit der der Māori überhaupt nichts zu tun. Jene nennen den Hügel Maungakiekie, was übersetzt soviel wie „Berg der Kiekie“ bedeutet. Die Kiekie wiederum ist eine Kletterpflanze, die ausschließlich in Neuseeland zu finden ist. Rings um den Berg zieht sich, soweit ich von hier aus erkennen kann, ein Park. Daß er den Namen Cornwall Park trägt, erfahre ich später, als ich darüber nachlese, was mir auch die Erkenntnis einbringt, daß die Benennung im Jahre 1901 zu Ehren des Herzogs und der Herzogin von Cornwall und York vorgenommen wurde, die Auckland gerade besuchten. Sie gingen später als König Georg V. und Königin Mary von Großbritannien in die Geschichte ein.

Nachdem mittlerweile neben Rangitoto Island auch Devonport und der Mount Eden auf meiner gedanklichen Liste der Orte, die aufzusuchen sich lohnen könnte, stehen, kommen im weiteren Verlauf meiner Rundschau über die Stadt noch die Auckland Domain mit dem Auckland War Memorial Museum, der Albert Park und die Universität hinzu – alles Orte, die man von hier oben gut erkennen, aber nicht näher in Augenschein nehmen kann, die jedoch auf die eine oder andere Art mein Interesse wecken.

Herauszufinden, was man in der jeweiligen Blickrichtung jeweils gerade sehen kann, überläßt man hier oben übrigens nicht allein der Findigkeit des Besuchers. Vor den Fenstern sind immer wieder Tafeln aufgestellt, die mittels einer schematischen Darstellung des Geländes Hinweise auf interessante Sehenswürdigkeiten geben. Als kleine Zugabe verzeichnen sie auch bedeutende Städte der Welt, die in der jeweiligen Himmelsrichtung liegen, inklusive einer Entfernungsangabe. Und weil Berlin von den Neuseeländern glücklicherweise als bedeutend genug eingeschätzt wird, um hier verzeichnet zu sein, weiß ich nun also auch, daß wir aktuell gerade 17.736 Kilometer von zu Hause entfernt sind. Das ist immerhin näher als das 120 Kilometer weiter weg liegende Prag! Interessant, nicht wahr? Ich hätte das andersherum erwartet…

Dann rückt schließlich wieder der Waitematā Harbour in mein Blickfeld, und kurz darauf habe ich meine Runde um das Main Observation Deck vollendet, als ich erneut die Auckland Harbour Bridge sehen kann.

Auch wenn nicht davon auszugehen ist, daß wir 34 Meter weiter oben völlig neue Aussichten erwarten können, sind wir nun doch einmal hier, und im Preis ist der Besuch des Sky Decks inbegriffen. Also fahren wir kurzentschlossen mit dem Fahrstuhl das vergleichsweise kurze Stück hinauf.

Wie vermutet, ist die Aussicht hier oben nicht nur ebenfalls uneingeschränkt in alle Richtungen möglich, sondern genauso phantastisch wie weiter unten. Wir vollziehen auch hier eine komplette Umrundung und haben, weil wir jetzt nicht mehr alles zum ersten Mal sehen und auch nicht mehr ständig in Ahs und Ohs ausbrechen müssen, genug Muße, noch nach den wenigen Orten Ausschau zu halten, die wir schon kennen, bei unserer ersten Umrundung in der unteren Aussichtsplattform aber vergessen hatten. Wir entdecken die Auckland Town Hall, die Auckland Waterfront und – ganz wichtig – unser Hotel, das EconoLodge City Central.

Tatsächlich neu ist allerdings der Blick auf eine dritte Aussichtsplattform, die der Turm besitzt, die aber oft gerne vergessen wird, da ihr Besuch im normalen Ticket nicht enthalten ist. Aus gutem Grund! Wer sie betreten will, heißt es, muß starke Nerven mitbringen. Von hier oben erkennen wir auch sofort, warum! Denn diese Plattform, die sich in 192 Metern Höhe zwischen Main Observation und Sky Deck befindet, ist eigentlich nicht viel mehr als ein Metallsteg, vielleicht einen halben Meter breit, der außen um den Turm herumführt. Und mit außen meine ich draußen! Und wenn ich Steg sage, dann ist auch exakt das darunter zu verstehen – ein Steg ohne jegliches Geländer! Klingt lustig? Nun, das dürfte definitiv im Auge des Betrachters liegen.

Wer da einmal außen herumlaufen will, muß das nicht nur extra buchen, der muß auch entsprechende Ausrüstung anlegen, denn natürlich lassen die Turmbetreiber nicht jeden, der das will, einfach so in luftiger Höhe außen um den Turm spazieren. Das geht nur angeseilt. Wir hatten unten trotzdem nur ganz kurz überlegt, ob wir uns das gönnen sollen – und dann darauf verzichtet. Nun, wo ich auf beiden hinter Fenstern gelegenen Aussichtsplattformen war, bin ich mit dieser Entscheidung auch ganz zufrieden. Viel mehr als von hier sieht man auf diesem Sky Walk auch nicht, und nur des Nervenkitzels wegen muß ich das nicht machen.

Nervenkitzel im Übermaß verspricht übrigens auch die andere Betätigung, die man von dieser Außenplattform aus ausüben kann. Die Rede ist vom SkyJump. Dabei kann man im wahrsten Sinne des Wortes von Turmspringen reden. Allerdings ist das Ziel nicht ein Wasserbecken, sondern einfach der harte Erdboden. Und man springt auch nicht aus zehn Metern Höhe, sondern stürzt sich aus 192 Metern in die Tiefe. Damit das aber nicht böse endet, wird man mit drei Führungsseilen verbunden, die von hier oben bis nach ganz unten reichen und genau den Zweck erfüllen, der sich in ihrem Namen ausdrückt: sie führen den Sprung. Damit soll vermieden werden, daß die Wagemutigen – andere würden sie vielleicht auch als Verrückte bezeichnen – bei Windböen gegen den Turm geschleudert werden. 85 Kilometer pro Stunde Fallgeschwindigkeit soll man bei so einem Sprung erreichen können. Und wie kommt man unten an? Nun, es wird versprochen, daß man kurz vor dem Boden computergesteuert abbremst.

Eine Gruppe Base-Jumper auf dem Sky Tower in Auckland
Eine Gruppe Wagemutiger bereitet sich auf den SkyJump vor.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Als wir vom Sky Deck auf den Sky Walk hinunterblicken, können wir dort eine Gruppe Besucher beobachten, die sich gerade darauf vorbereiten. Alle sind in orangefarbene Overalls gekleidet und angeseilt. Offenbar erhalten sie gerade von einem Angestellten des Turm-Teams letzte Anweisungen. Weil es aber wohl eine ganze Menge zu der Angelegenheit zu sagen gibt, dauert das so lange, daß wir schließlich die Geduld verlieren und unseren Rundgang um das Sky Deck fortsetzen.

Als wir auf dem Weg nach unten wieder im tiefergelegenen Main Observation Deck angekommen sind, haben die Wagemutigen ihre Einweisung offenbar erfolgreich hinter sich gebracht und sind nun einer nach dem anderen auf dem Weg nach unten. Dabei rauschen sie direkt vor den Fenstern vorbei. Das geht derart schnell, daß ich mir kaum vorstellen kann, daß sie in der kurzen Zeitspanne, die sie bis nach unten benötigen, überhaupt viel von dem Sprung und der Welt um sich herum mitbekommen können. Nun, auf jeden Fall sind sie schneller unten als wir.

Dort langen auch wir wenig später an. Als ich beim Verlassen des Empfangsgebäudes auf die Uhr sehe, stelle ich fest, daß wir runde zwei Stunden auf dem Turm verbracht haben. Gut investierte Zeit, denn wir haben nicht nur einen schönen Überblick über die Stadt gewonnen und bei bestem Wetter eine phantastische Aussicht genossen, sondern nun auch einige weitere lohnende Ziele für unsere nächsten Unternehmungen in Auckland auf dem Zettel. Und weil der Tag noch lange nicht zu Ende ist – die Mittagszeit ist gerade erst vorüber -, fangen wir auch gleich damit an.

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