Schneebusch

Und wieder ist ein Jahr vorüber…

Dieser Beitrag ist Teil 4 von 8 der Beitragsserie "Gedanken zum Jahreswechsel"

Rot funkelt der Wein im Glase. Eine kleine Lampe auf dem Tisch vor mir erleuchtet nur spärlich die nähere Umgebung, und auch der am Fenster sanftes, goldenes Licht spendende Schwibbogen vermag den Rest des Zimmers kaum zu erhellen. Doch das ist auch nicht nötig. Leise spielt Musik und untermalt die ruhige und besinnliche Atmosphäre, die ich mir geschaffen habe und mit der es mir gelingt, all den Trubel auszublenden, der von der dem Jahreswechsel entgegenfiebernden Welt vor meinen Fenstern veranstaltet wird.

Das vierte Jahr in Folge halte ich es nun schon so. Es ist eine mir inzwischen lieb gewordene kleine Tradition, das Ende des Jahres allein und zurückgezogen zu begehen und leicht in das neue Jahr hinüberzugleiten. Sanft und ohne raschen Rutsch. Ganz in Ruhe.

Das Besinnliche nehme ich dabei gern wörtlich: mich besinnen auf das, was im vergangenen Jahr gewesen ist und was ich erreicht habe. Und auch, was nicht.

Ich nehme mir vor, achtsamer mit meiner Zeit umzugehen. Sie gleichermaßen bewußt zu nutzen und bewußt zu verschwenden – kurz: sie bewußt zu leben. Jedenfalls mehr als bisher.

So hatte ich es zum Ende des vorigen Jahres formuliert. Und natürlich, die Frage steht im Raum: Habe ich das erreicht? Ja? Nein? Gar nicht so leicht zu beantworten. Zumindest nicht, wenn es nicht oberflächlich sein soll. Mal sehen.

Zunächst einmal kann ich feststellen, daß mir zu der gewählten Überschrift dieses Textes „Und wieder ist ein Jahr vorüber…“ – ja, die stand tatsächlich als erstes fest – nicht wie im letzten Jahr sofort die Frage „Hatte das nicht gerade eben erst angefangen?“ und gleich danach der Satz „Das kann doch unmöglich schon wieder vorbei sein.“ eingefallen sind. Und tatsächlich, wenn ich so über das vergangene Jahr nachdenke, dann habe ich nicht den Eindruck, daß die Zeit einfach so verronnen ist. Und das liegt zu einem nicht geringen Teil daran, daß ich in der Folge meiner letztjährigen Überlegungen zu diesem Thema begonnen habe, mir Gedanken zu machen. Gedanken darüber, was falsch läuft in meinem Leben. Und was richtig. Was mir wichtig ist. Und auch, was nicht.

In der Folge dessen habe ich einige Dinge neu bewertet. Ganz persönlich. Für mich. Womit möchte ich meine Zeit verbringen? Und womit verbringe ich sie tatsächlich?

Als ich begann, darüber nachzudenken, landete ich unweigerlich bei meinem Job. Meiner beruflichen Tätigkeit. Wie stand es damit? Die Arbeit eines Softwareentwicklers ist, was ich gelernt habe und was ich seitdem ohne Unterbrechung ausübe. Dabei ist die Idee einer Karriere für mich völlig irrelevant. Und das kann ich so sicher sagen, weil ich sie ausprobiert habe. Wie so viele andere auch habe ich als Softwareentwickler begonnen und bin den Weg ins Management gegangen. Doch nach einer Weile bin ich umgekehrt. Das war es nicht, was mich interessierte. Was mir wirklich Spaß macht, worin ich gut bin, ist etwas völlig anderes. Für ein echtes Problem eine Software zu entwickeln, die es löst, ist etwas, das unglaublich erfüllend sein kann. Es beginnt bereits bei der Analyse des Problems, wenn sich Erkenntnis aufbaut und man beginnt zu verstehen, worum es geht. Es setzt sich fort, wenn man dann den kreativen Schritt macht und eine Lösung entwirft. Hier ist Kreativität gefragt. Man tritt ein in den Zyklus aus Idee, Ausprobieren, Verwerfen, Von-vorn-beginnen mit einer neuen Idee. Und hat man dann endlich einen Ansatz gefunden, der funktionieren kann, arbeitet man ihn aus und entwickelt ihn zur fertigen (Software-)Lösung. Und all das tut man nicht allein, sondern gemeinsam mit anderen. Man tauscht Ideen aus, man diskutiert, mal streitet man auch. Aber nichts geht über das wunderbare Gefühl, wenn man gemeinsam, auf Augenhöhe miteinander arbeitend, etwas geschaffen hat.

Aber was lief dann falsch? Wenn ich doch die meiste Zeit Software entwickelte und mir das Spaß machte, warum hatte ich dennoch immer öfter das Gefühl, daß meine Zeit verstrich, ohne daß ich sagen konnte, wo sie denn geblieben war? Und warum blieben so viele meiner persönlichen Interessen unbeachtet, so viele meiner persönlichen Vorhaben ungetan? Ich kam zu dem Schluß, daß ich offenbar dazu übergegangen war, meine Prioritäten mit den Jahren völlig falsch zu setzen. Beginnt man wie ich als Softwareentwickler in einem kleinen, aufstrebenden Unternehmen, scheint diese Tätigkeit das Wichtigste der Welt zu sein, in das man all seine Zeit investiert. Selbst dann, wenn es nicht die eigene Firma und man nur angestellt ist. Es ist wie ein eigenes Werk, ein Baby, das man voranbringen will. Und so waren Überstunden zwar an der Tagesordnung, doch ich nahm sie gern in Kauf, konnte ich doch die erreichten Ergebnisse sehen, die ja irgendwie auch meine waren. Beginnt man dann den Weg ins Management, scheint dieselbe immense zeitliche Investition erforderlich, erst recht, wenn man seine Arbeit ernst nimmt und das Beste erreichen will. Es ändert sich nur der Grund dafür. Doch arbeitete ich mittlerweile weder in einem kleinen, aufstrebenden Unternehmen noch war ich auf der Management-Karriereleiter unterwegs. Und dennoch hatte ich, was meine Zeit betraf und wie ich sie investierte, einfach so weitergemacht wie vorher. Daß meine beruflichen und meine persönlichen Interessen und Projekte nicht vollständig deckungsgleich waren, daß also mein Beruf mir zwar Spaß machte, aber nicht meinen einzigen Lebensinhalt bildete, war mir auf meinem Weg durch mein Arbeitsleben irgendwie aus dem Blick geraten.

Doch nun, wo mir das klar geworden war, gab es keinen Grund mehr, einfach so weiterzumachen wie bisher. Beruf und Persönliches mußten wieder in die richtige Balance. Und so fällte ich die Entscheidung, die Zeit, die ich meinem Beruf zukommen ließ, zu verkürzen. Dabei beließ ich es nicht mit dem Vorsatz, einfach weniger oder keine Überstunden mehr zu machen. Ich ging einen radikaleren Schritt und entschied, nur noch vier Tage in der Woche zu arbeiten. Ein Entschluß, den ich bis heute nicht bereut habe.

In der Folge hat sich einiges für mich verändert. Was meinen Beruf betrifft, habe ich sogar den Eindruck, deutlich produktiver als vorher zu sein. Wichtig ist bei einem solchen Schritt natürlich, daß man nicht versucht, die Arbeit von fünf Tagen an vieren zu schaffen. Die Umstellung auf eine Vier-Tage-Arbeitswoche hat mich auch im Job dazu gebracht, wesentlich bedachter auszuwählen, welchen Aufgaben ich mich widme und welchen nicht. Es war ein äußerst wichtiger Lernschritt für mich zu erkennen, wie unglaublich produktivitätssteigernd ein zur rechten Zeit geäußertes Nein sein kann. Und wenn man nach eigenem Gefühl die richtige Balance zwischen Arbeit und Persönlichem erreicht hat, investiert man seine Zeit und Fähigkeiten viel bewußter in die aktuelle Tätigkeit, weil man überhaupt erst einmal in der Lage ist, darüber nachzudenken, was wichtig ist und was nicht und wann der beste Zeitpunkt ist, eine übernommene Aufgabe zu erledigen. Nach meinem Eindruck schaffe ich in den vier Tagen pro Woche in meinem Job jetzt sogar mehr als vorher in fünfen, ohne daß ich deshalb das Gefühl habe, mich zu übernehmen.

Und auch außerhalb des Jobs kam es zu deutlichen Verbesserungen in meinem Leben. Klar, ich hatte mehr Zeit. Doch das allein macht ja noch nichts besser. Es kommt darauf an, sie bewußt einzusetzen. Ich schreibe hier absichtlich nicht „sinnvoll nutzen“. Denn mir kommt es nicht darauf an, meine neu gewonnene Zeit zu rationalisieren. Wichtig ist mir, sie bewußt für das zu verwenden, was für mich gerade wichtig und erforderlich ist. Das kann ein Projekt sein, daß ich umsetzen, ein Ziel, das ich erreichen will. Das kann aber auch bewußte Verschwendung sein, wenn die Seele danach verlangt. Tagträumen, müßiggehen, bummeln, nichts erreichen müssen. Für von allem ein bißchen habe ich mir im vergangenen Jahr Zeit genommen: für einen vergleichsweise spontanen Ausflug nach Nürnberg an einem verlängerten Wochenende; für einen Urlaub im schönen Wien, wohin ich immer schon einmal wollte, und für einen anderen im Schwarzwald, wo ich vor Jahren schon einmal war, woran ich mich aber kaum noch erinnern konnte; für die Fertigstellung einer schon lange geplanten vierteiligen Artikelserie über die Spittelkolonnaden auf meiner Website Anderes.Berlin; für die Recherche zu einer weiteren, an der ich gerade noch arbeite; für die Zusammenstellung einer Spotify-Playlist mit epischer Musik, unglaublich motivierend bei allen möglichen Gelegenheiten; für die Wiederaufnahme meiner brachliegenden Mitgliedschaft im Fitneßstudio – Sport macht Spaß, Sport macht Spaß, Sport macht Spaß…

Unglaublich befreiend ist auch das Abwerfen von Ballast. Im wahrsten Sinne des Wortes. Stimmt die Balance im Leben nicht, neigt mancher zur Kompensation. Was durchaus eine gewisse Zeit funktionieren kann. Erst recht, wenn man gerne Dinge sammelt. Bücher, CDs, Schallplatten. Oder Star-Trek-Raumschiffmodelle. Deren Anschaffung kann eine gute Kompensation sein. Für eine Weile. Bis man das Gefühl hat, daß sie einen erdrücken und die Balance zusätzlich durcheinanderbringen. Dann sollte man sie dringend loswerden. Was plötzlich sehr einfach wird, wenn man seine Balance wiederfindet, wie ich in diesem Jahr ebenfalls feststellen konnte.

Ich nehme mir vor, achtsamer mit meiner Zeit umzugehen. Sie gleichermaßen bewußt zu nutzen und bewußt zu verschwenden – kurz: sie bewußt zu leben. Jedenfalls mehr als bisher.

Und? Habe ich das nun erreicht? Ich meine, in diesem Jahr ist mir dafür ein recht guter Anfang gelungen. Und bedenke ich es recht, ist dieses Vorhaben keines, bei dem man an irgendeinem Punkt im Leben sagen kann: Jetzt habe ich es geschafft. Weiter geht es nicht. Vielmehr ist es eine Haltung, eine Einstellung zum Dasein. Seine Zeit bewußt zu leben – das ist ein Vorhaben, das man jeden Tag umsetzen muß. Und dafür muß man es jeden Tag auf’s Neue in Angriff nehmen.

In diesem Sinne wünsche ich Euch allen ein gesundes neues Jahr 2020. Setzt die Zeit, die Ihr habt, so bewußt ein, wie Ihr könnt.

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