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Der erste Tag

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© 2005-2009, Alexander Glintschert
Zuletzt geändert: Sonntag, 11. Juli 2010

Die Reise beginnt...

Die Fahrt beginnt an diesem 7. Februar um 8:07 Uhr am Berliner Bahnhof Alexanderplatz. Es ist eine Fahrt ausschließlich mit Regionalzügen. Das bedeutet zwar zweimal Umsteigen, ist aber immer noch billiger als die Variante mit der einmaligen Unterbrechung der Reise. Komischerweise ist es aber auch ganze 40 Minuten schneller, obwohl man im zweiten Fall sogar ein Stück mit dem ICE fahren darf. Nach drei Stunden und zwanzig Minuten bin ich am Ziel.

Die Fahrt ereignislos zu nennen, ist keine Untertreibung - aber es ist ein Kompliment an die Bahn. Keine Verspätung, die Anschlüsse klappen auf die Minute. Vielleicht sollte ich immer Regionalzüge nehmen? Zwischendurch schlafe ich im Zug sogar ein. Das passiert mir sonst nie. Offenbar habe ich den Urlaub nötiger als ich dachte.

Als ich in Wernigerode ankomme, ist es fast Mittag. Die Sonne strahlt vom Himmel herab und hat alle Wolken vertrieben. Jedenfalls läßt sich keine einzige blicken. Vom Bahnhof, der durch Einfachheit und Schlichtheit jede größere Aufmerksamkeit von sich abzulenken sucht, mache ich mich auf die Suche nach meinem Hotel. Der Weg führt mich am Rand der Altstadt entlang, von der ich dabei bereits genug zu sehen bekomme, um sie anheimelnd zu finden und Lust zu bekommen, mehr von ihr zu sehen.

Nach ein paar hundert Metern muß ich plötzlich einen steilen Berg hinaufsteigen. Später werde ich herausfinden, daß es der Schloßberg ist. Zwar ist der Anstieg nicht lang - ich muß glücklicherweise nicht bis ganz hinauf - aber mit meinem großen Rucksack auf dem Rücken komme ich doch bereits ins Schwitzen. Ich bin nichts gewöhnt, denke ich. Was mußt Du Flachlandbewohner auch in die Berge fahren, ist mein zweiter Gedanke.

Doch als ich oben bin, läßt mich ein Blick zurück, auch wenn ich zwischen Häusern stehe und keine völlig freie Sicht habe, doch erahnen, wie malerisch das Städtchen Wernigerode vor den Ausläufern der Berge liegt und sich zwischen sie hinein erstreckt. Und das wiederum läßt mich mein innerliches Jammern von eben sofort wieder vergessen.

Erbprinzenpalais - KleinNoch ein kleines Stück weiter auf nunmehr wieder ebenem Weg finde ich am Fuß eines weiteren Berghanges mein Hotel - das Erbprinzenpalais. Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine große Villa. Und dieser Eindruck trügt auch nicht, denn wie ich später erfahre, war es im zwanzigsten Jahrhundert eine Zeitlang der Wohnsitz des Prinzen und späteren Fürsten Botho von Stolberg-Wernigerode, als der Familie das Geld ausging, um das Schloß zu unterhalten. Hotel ist das Gebäude jedoch erst seit wenigen Jahren.

Der erste Eindruck, der sich auch später bestätigt, ist ausgezeichnet. Mein Zimmer ist gemütlich und komfortabel, der Ausblick allerdings ist trotz der Lage im dritten Stock sehr beschränkt. Kein Wunder, blicke ich doch direkt auf den Hang des Schloßbergs, der sich direkt hinter dem Hotel erhebt. Na immerhin. Wenigstens ist es nicht irgendein Berg, der da vor meiner Nase steht. Und schließlich bin ich auch nicht hierhergekommen, um aus dem Fenster meines Hotelzimmers zu sehen.

Über das Auspacken und Einrichten sind nicht viele Worte zu verlieren. Es dauert nicht lange, dann bin ich damit fertig. Für den Nachmittag scheint mir nun ein Spaziergang durch die Stadt genau das Richtige zu sein. Dabei kann ich auch gleich lohnende Wander- und Ausflugsziele für die nächsten Tage, Bus- und Zugfahrpläne und die Restaurants der Stadt erkunden. Schließlich bekomme ich im Hotel nur das Frühstück und muß mich also um Mittagessen und Abendbrot selbst kümmern. Und rechtzeitig darüber Bescheid zu wissen, wie man wann und von wo zu besagten Ausflugszielen und von diesen wieder zurückgelangen kann, kann ja auch nicht schaden.

Wernigerode - Haus mit geschnitzter Holzfassade - KleinIch mache mich also auf den Weg in die Altstadt. Um es gleich vorwegzunehmen: Wernigerode gefällt mir ausnehmend gut. Hier ist praktisch kein Haus wie das andere. Die meisten Häuser sind natürlich Fachwerkbauten. Doch wer dabei ausschließlich an weiß verputzte Häuser mit tiefschwarzen Balken in der Fassade denkt, könnte keine falschere Vorstellung davon bekommen, was sich dem Besucher bietet, der durch die Straßen und Gassen der Stadt schlendert. Hier gibt es prunkvolle Straßenzüge mit Häusern, deren Fassaden in allen Farben leuchten. Aufwendig geschmückte Erker und Türeinfassungen, ins Fachwerk eingelassene Ornamente und sogenannte Palmetten, in Holz geschnitzt, verzieren sie. Einige Häuser weisen sogar Wandfriese auf, die sich zu kleinen Bildreihen gruppieren. Manche Bauten besitzen komplett hölzerne Fassaden, die einen, denkt man ein wenig darüber nach, den Ausbruch eines Feuers fürchten lassen.

Entlang der Hauptstraßen, die zur Fußgängerzone umgestaltet sind, kann ich mich gar nicht sattsehen an diesen wunderschönen mittelalterlichen Häusern, von denen einige mehr als vierhundert Jahre alt sind. Und während ich so durch die Stadt schlendere, öffnet sich plötzlich eine Seitenstraße in der Häuserreihe Wernigerode - Blick auf das Schloß - Kleinund gibt die Aussicht auf den Schloßberg frei. Der Blick gleitet an seinem Hang mit den winterkahlen Bäumen nach oben und bleibt auf dem mittelalterlich-romantisch wirkenden Schloß mit seinen vielen Türmchen und verzierten Erkern hängen, das alles beherrschend und dennoch nicht drohend, sondern freundlich herübergrüßend über der Stadt thront.

Doch wo eben noch die eine Straße lang und gerade einen weiten Blick ermöglichte, scheint die nächste krumm und verwinkelt den Ortsunkundigen an der Nase herumführen zu wollen. Hier zu beabsichtigen, ein Ziel zu erreichen, von dem man nur ungefähr die Richtung weiß, in der es wohl liegen muß, ist aussichtslos, wenn man meint, der ersten besten Straße folgen zu können, die in diese Richtung zu führen scheint. Kaum ist man sie ein Stück entlanggegangen, vollführt sie eine Biegung nach halblinks oder halbrechts, manchmal auch beides kurz hintereinander, oder sie mündet plötzlich auf eine andere Straße, natürlich nicht gerade, sondern schräg, oder sie hört plötzlich einfach ganz auf und führt als Gasse oder schmaler Steig in eine ganz neue Richtung. Drei Ecken weiter hat der unbedarfte Wanderer völlig die Orientierung verloren. Dann hilft nur noch, sich am allgegenwärtigen Schloß über der Stadt zu orientieren und eine der Hauptstraßen wiederzufinden. Dort sollte man schleunigst einen passenden Laden aufsuchen, um sich einen Stadtplan zu kaufen.

Doch gerade das, dies Verwinkelte und Verschrobene, die Enge der Gassen hier, die Vielfalt der Häuser dort, machen den Charme dieses Städtchens aus. Da gibt es ein Haus, das ist ganz in Rosa gehalten. Und es fällt gerade um. Jedenfalls scheint es so. Die Balken, die eigentlich senkrecht aufragen sollten, weil sie die äußere Begrenzung der Giebelwand darstellen, neigen sich dem Betrachter entgegen, so daß er fürchtet, sie möchten ihm auf den Kopf stürzen. Eine Tafel an der Hauswand gibt Aufschluß: Grundwasser habe die Grundmauern einst unterspült. Jetzt neige sich die Hauswand stärker als der schiefe Turm von Pisa. Am oberen Ende ist die Wand 1,20 Meter aus dem Lot. Und doch steht dieses Haus nicht etwa leer - nein, es wird - einst eine Mühle - auch heute noch genutzt, und zwar vom Organisationsbüro der Landesgartenschau, die 2006 hier in Wernigerode stattfinden wird. Dem Fachwerk sei Dank.

Wernigerode - Stadttor - KleinDie Tafel an diesem Haus ist nicht die einzige in der Stadt. Wer aufmerksam durch die Straßen wandert, wird viele davon entdecken. Sie weisen auf Sehens- und Wissenswertes an Ort und Stelle hin und erzählen so die Geschichte der Stadt auf eine sehr lebendige Weise. Auch der Verlauf der Stadtmauer um Alt- und Neustadt und zwischen ihnen ist, soweit nicht sogar Reste noch erhalten sind, überall an den Straßenkreuzungen markiert. Man muß dazu allerdings den Blick auch mal vor die eigenen Füße senken, denn diese Hinweise sind in das Straßenpflaster eingelassen.

In irgendeiner Broschüre in irgendeinem Café lese ich, daß Wernigerode in der DDR zum Vorzeigeobjekt für den Umgang mit der Geschichte auserkoren worden war und deshalb als eine der wenigen Städte aufwendig rekonstruiert und instandgehalten wurde. Gott - oder in diesem Falle der Partei - sei Dank, möchte man sagen, denn hieran wäre wirklich ein Kleinod mittelalterlicher Baukunst verloren gegangen. Es war wohl nicht das Schlechteste, was der Stadt passieren konnte.

Als ich drei Tage später mit der Straßen-Bimmelbahn zum Schloß hochfahre, erzählt der Fahrer, Wernigerode gehe mit seiner über tausendjährigen Geschichte auf einen Mönch namens Warin zurück, der hier an dieser Stelle Wald roden ließ und die Siedlung begründete. Sie wurde dann der Legende zufolge ihm zu Ehren mit Waringerode benannt. Mit der Zeit wandelte sich der Name durch die Veränderung der Sprache in das heutige Wernigerode - da war die Stadt schon reich und groß infolge des Silberbergbaus und des Handels. Schließlich lag sie am Kreuzungspunkt zweier wichtiger mittelalterlicher Handelsstraßen.

Als ich an diesem ersten Abend wieder in mein Hotel komme, bin ich das erste Mal reichlich geschafft vom Herumlaufen durch die Stadt. Doch es ist eine angenehme Müdigkeit, die mich ergriffen hat, denn gleichzeitig habe ich das unbedingte Gefühl, das sich die Fahrt hierher schon gelohnt hat. Und in den nächsten Tagen würde ich sicher noch einige sehr schöne Dinge entdecken können...

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