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Der dritte Tag

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© 2005-2009, Alexander Glintschert
Zuletzt geändert: Sonntag, 11. Juli 2010

Durch Höhlen und an Talsperren

Meine Brockenwanderung vom Vortag hatte mich doch mehr geschafft, als ich angenommen hatte. Das muß ich jedenfalls am Morgen des heutigen Tages feststellen. In den Schienbeinen und Waden hat sich ein Muskelkater breitgemacht, der mir das Laufen doch etwas erschwert. Den Berg hinabzuwandern ist eben doch anstrengender, als man gemeinhin erwartet.

Aber das soll mir nicht die Laune verderben, ebensowenig wie der Himmel, der an diesem Tag nicht mehr in so freundlichem Blau erstrahlt, wie das noch am Vortag der Fall gewesen war. Stattdessen hat er sich ein graues Wolkengewand übergezogen, das, wenn man mich fragt, nicht dem letzten Schrei himmlischer Mode entspricht. Aber wenigstens fällt kein Regen.

Rübeland - Bahnhof - KleinFür meinen heutigen Ausflug nehme ich den Bus. Um 9:45 Uhr geht es vom Busbahnhof, der sich direkt neben dem Wernigeröder Bahnhof befindet, los - und eine halbe Stunde später bin ich bereits an meinem Ziel angelangt: in Rübeland, der Stadt der Tropfsteinhöhlen. Denn genau jenen gilt mein heutiger Ausflug.

Zwei solche Höhlen gibt es in Rübeland: Die Baumannshöhle und die Hermannshöhle. Genaugenommen gibt es sogar deutlich mehr Höhlen in direkter Nachbarschaft dieser Stadt, doch nur diese beiden sind für Besucher zugänglich.

Als ich den Bus verlasse - ich bin von Wernigerode an der einzige Fahrgast gewesen -, stehe ich, wie ich feststelle, bereits fast direkt vor der Baumannshöhle. Von der Höhle selbst ist weit und breit nichts zu sehen, aber ein Flachbau, zu dem ein paar Stufen hinaufführen, trägt an seiner Vorderfront die Aufschrift  “Baumanns Höhle”. Das Gebäude lehnt sich mit seiner Rückwand an den Berg an. Es besitzt nur ein Stockwerk, hat - wie bereits erwähnt - ein flaches Dach und genau in der Mitte die Eingangstür, links und rechts gesäumt von je einer Fensterreihe.

Rübeland - Baumann-Höhle - KleinAls ich das Gebäude betrete, sehe ich, daß es aus nur einem einzigen großen Raum besteht. An der der Eingangstür gegenüberliegenden Rückwand des Gebäudes erzählt eine Reihe von Schautafeln die Geschichte der Höhle. Ihnen entnehme ich, daß ein Bergarbeiter namens Baumann im Mittelalter die Höhle entdeckt hatte, die dann nach ihm benannt wurde. Später erfahre ich, daß er die Höhle fand, als er auf der Suche nach neuen Erzadern war. Die bisher von den Bergleuten verfolgten Adern gaben nichts mehr her und der Bergbau in Rübeland drohte zum Erliegen zu kommen. Um das zu verhindern - schließlich zogen bereits die ersten Familien aus dem Ort weg - überwand er sich und seine Ängste und stieg in eine damals bereits bekannte, aber aus Aberglauben niemals untersuchte Höhle namens “Geisterloch” ein. Wie erzählt wird, verlosch ihm bald seine Grubenlampe, so daß er in völliger Finsternis im Berg eingeschlossen war. Drei Tage lang soll er tastend in der Höhle umhergeirrt sein, bevor er den Ausgang und damit das Tageslicht wiederfand. Seine Kräfte sollen gerade noch gereicht haben, um von den Wundern, die er im Berg entdeckt hatte, zu erzählen. Danach erlag er den erlittenen Strapazen.

Am rechten Ende der Wand mit den Schautafeln führt ein Gang zu einer Tür. Da der Gang mit einer Sperre gesichert ist, vermute ich, daß dies der Eingang zur Höhle sein müsse. Daß ich damit richtig liege, stellt sich heraus, nachdem ich an der Kasse, die sich auf der linken Seite des Raumes befindet, meine Eintrittskarte gekauft habe. Ich muß einen kurzen Augenblick warten, bis die nächste Führung beginnt, denn allein wird man nicht in den Berg gelassen. Da unsere Führerin bei unserem Rundgang immer nur in dem Teil der Höhle das Licht einschaltet, in dem wir uns jeweils gerade befinden, ist auch schnell klar, warum. Gleich zu Beginn demonstriert sie uns, was es für Baumann bedeutet hatte, sein Grubenlicht zu verlieren. Als sie das Licht ausgeschaltet hat, stehen wir in pechschwarzer Nacht. Die Hand ist selbst unmittelbar vor den Augen schlichtweg nicht mehr zu sehen.

Der Eingang in die Höhle führt uns durch einen langen Stollen. Er ermöglicht den Zugang direkt vom Ort aus. Allerdings existiert er noch keine hundert Jahre, wie uns erzählt wird. Der eigentliche Zugang - dieser hier war künstlich in den Berg hineingetrieben worden - war das “Geisterloch”. Dieses liegt aber einige Meter oberhalb am Hang und eben nicht im Ort.

Gleich zu Anfang führt uns der Rundgang in den Goethesaal. Dieser wurde Goethe zu Ehren anläßlich eines Besuches, den er der Höhle abstattete, so genannt. Der Goethesaal ist der größte Hohlraum der Höhle - über diese ihre eigene Formulierung amüsiert sich unsere Führerin ein kleines Weilchen. Während wir uns in diesem Raum aufhalten, tropft und plätschert es ununterbrochen. Halblinks befindet sich sogar ein kleiner See, der sinnigerweise als Wolfgangsee bezeichnet wird. Er ist allerdings künstlich angelegt worden. Davor liegt ein großer Freiraum, der mit mehreren Reihen Stühlen vollgestellt worden ist. Allesamt sind sie recht naß, so daß man am Sitzen keine rechte Freude findet. Daher bleiben auch ausnahmslos alle Teilnehmer unserer Runde auf dieser Freifläche stehen. Hinter dem See und rechts neben der freien Fläche steigt der Boden an und formt, um einen natürlichen Pfeiler herum, absonderliche steinerne Figuren, die der Decke entgegenragen. Die Stühle lassen es bereits erahnen: dieser Hohlraum wird häufig für Konzerte und Theateraufführungen genutzt. Bei letzteren stellt der ansteigende Bereich des Raumes die Bühne dar. Eine solche Theateraufführung hätte ich gerne einmal hier erlebt, doch Vorstellungen gibt es immer erst um 16 Uhr am Nachmittag - und wie sich wenig später herausstellt, würde das für mich ungefähr vier Stunden untätiges Warten bedeuten.

Doch zunächst führt uns der Rundgang treppauf, treppab durch die Höhle. Was es nun zu sehen gibt, ist phänomenal. Mal führt der Weg durch hohe, breite Hallen, dann wieder durch schmale Durchlässe. Hier geht es steile Stufen hinan, dort wieder hinab, mal links, mal rechts herum. Bald habe ich völlig die Orientierung verloren, in welche Richtung wir gerade gehen und ob wir uns nun eigentlich höher oder tiefer als der Eingang befanden. Ab und an muß ich den Kopf einziehen und leicht gebückt vorwärtsgehen, da sich die Höhlendecke plötzlich als sehr entgegenkommend erweist.

In den Räumen der Höhle ist es schwer, sich zu entscheiden, wohin man zuerst schauen soll. Hier wachsen Stalagmiten und Stalaktiten einander entgegen, dort verbindet eine Steinsäule Decke und Boden miteinander. In einem Raum scheint ein versteinerter Mönch zu stehen, eingehüllt in seine Kutte. In einem anderen versucht eine steinerne Schildkröte, einen Geröllhang hochzuklettern. Der Phantasie sind wieder einmal keine Grenzen gesetzt. Hier hockt ein Liebespärchen auf einer Bank, dort ragt eine fünffingrige Hand aus dem Felsen.

All das wird durch eine kluge Beleuchtung der Höhle unterstützt. Die Lampen hängen dabei nicht einfach von der Decke oder an der Wand - nein, sie sind hinter Steinen, Säulen und Felsen versteckt, strahlen den Fels an und schaffen so eine geheimnisvolle Atmosphäre, weiß man doch an einigen Stellen nicht, woher das Licht nun eigentlich kommt.

Jeden Augenblick erwarte ich, einen Zwerg oder ein anderes Fabelwesen vor mir zu sehen. Ganze steinerne Miniaturlandschaften tun sich vor mir auf. Da gibt es einen im Fels erstarrten Wasserfall, dort scheint ein Stück Tuch vom Fels zu hängen, dessen Falten sanft herabfallen. War der Fels eben noch rauh, präsentiert er sich da, wo offenbar häufiger Wasser an ihm hinabrinnt, glatt und poliert. Bei all dieser Pracht und den wundervollen Formen und märchenhaften Gestalten kann man fast vergessen, daß man sich tief im Inneren des Berges befindet, mit teilweise mehr als sechzig Metern Fels über sich und in völliger Finsternis, wenn das Licht ausfällt. Besser, man denkt gar nicht erst lange darüber nach.

In einem der Räume lagern einige Knochen und Schädel. Offenbar stammen sie von einem Tier, doch den Ausmaßen der Schädelknochen nach zu urteilen muß es ein ausgesprochen großes Tier gewesen sein. Unsere Führerin spricht von einem Höhlenbären, einem Zeitgenossen des Mammuts. Sieht man sich die Knochen an, darf man froh sein, daß man ihm hier nicht mehr begegnen kann. Ich frage mich allerdings, wie er sich wohl in der ewigen Dunkelheit der Höhle zurechtgefunden hat.

Schließlich erreichen wir nach etwa einer dreiviertel Stunde den Ausgang der Höhle. Als wir unvermittelt ins Freie treten, stelle ich verwundert fest, daß wir mitten im Wald stehen, und das auch noch gut vierzig Meter über der Talsohle - meiner Schätzung nach. Ich weiß nicht genau, was ich erwartet habe, wo wir herauskommen würden, aber das überrascht mich dann doch. Unsere Führerin amüsiert sich über unsere verdutzten Gesichter, beschreibt uns dann aber freundlicherweise doch, wie wir zurück zum Ort kommen.

Rübeland - Bode - KleinIch mache mich also auf den Weg, denn ich habe vor, als nächstes zur Hermannshöhle zu gehen. Um dorthin zu gelangen, muß ich ein Flüßchen überqueren, das sich munter durch das Tal schlängelt, in dem Rübeland liegt. Ich hatte mich vorher gar nicht genau mit der Geographie von Rübeland beschäftigt und bin also einigermaßen überrascht, als ein Schild mir verkündet, daß ich vor der Bode stehe. Dieses Flüßchen kenne ich natürlich - zumindest dem Namen nach. Da können die Talsperren eigentlich nicht allzu weit sein.

Als ich über die Brücke gehen will, versperrt mir ein Bauzaun den Weg und warnt mich mit einem Schild, daß ein Weitergehen mich in Lebensgefahr brächte. Als ich mich nach einem alternativen Weg umsehe, bemerke ich auf der anderen Seite, ein Stück die Straße am Hang hinauf, ein Gebäude, welches die Aufschrift “Hermannshöhle” trägt. Leider ist da von der Stelle, an der ich mich jetzt befinde, absolut kein Hinkommen, denn dieses Gebäude, welches ja offensichtlich der Eingang zur Höhle ist, befindet sich vollständig im Bereich der lebensgefährdenden Baustelle. Die ist offenbar so lebensgefährlich, daß nicht einmal die Bauarbeiter sie betreten dürfen - jedenfalls sind weit und breit keine zu sehen. Was nun? Wie kommt man denn dann zu der Höhle? Gibt es noch einen anderen Eingang? Ganz abwegig scheint mir das nicht, immerhin hat die Baumannshöhle ja mindestens drei, wenn man den Ausgang mitzählt.

Ich gehe kurzerhand zur Baumannshöhle zurück, um einfach einmal nachzufragen. Dort angekommen, erklärt mir die Frau an der Kasse gutgelaunt, die Hermannshöhle habe geschlossen. Im Winter, so meint sie, sei immer eine der beiden Höhlen geschlossen. Warum sie dabei so tut, als sei das das Naheliegendste von der Welt, ist mir nicht ganz klar. Immerhin ist eine Höhle kein Freilichtmuseum, Garten oder Sommerhaus, das in den Wintermonaten stillgelegt werden muß. Gerade eine Höhle sollte doch, so scheint mir, jahreszeitenunabhängig sein, was ihre Besichtigung angeht. Und daß es wegen äußerst geringer Touristenzahlen nötig sein soll, die Höhle im Winter dichtzumachen, will mir angesichts der gut sechzig Personen, die an meiner Führung durch die Baumannshöhle teilgenommen hatten, auch nicht recht einleuchten.

Ich halte es jedoch für müßig, mit der Angestellten darüber zu diskutieren, und trete wieder hinaus auf die Straße. Was soll ich jetzt tun? Es ist noch nicht einmal zwölf Uhr, zum Mittagessen also viel zu früh. Und bis 16 Uhr, wenn das Theaterstück beginnt - gegeben wird übrigens “Das kalte Herz” nach Wilhelm Hauff, was in der Höhlenkulisse bestimmt sehr reizvoll ist -, ist es noch lang hin. Wie soll ich mehr als vier Stunden in Rübeland herumbekommen?

Ich überlege hin und her und bin schon nahe daran, nach Wernigerode zurückzufahren, da habe ich eine Idee. Wie wäre es, wenn ich zu den Talsperren führe? Auf einem Umgebungsplan des Ortes hatte ich unterwegs gesehen, daß sie tatsächlich nicht allzuweit entfernt sind und daß es dort auch eine Bushaltestelle gibt. Sollte vielleicht sogar meine Buslinie, die mich hergebracht hatte, auf ihrer weiteren Strecke dort vorbeiführen?

Eine freundliche Kioskbetreiberin gibt mir Auskunft. Ja, die Linie führt an der Rappbodetalsperre vorbei, sogar darüber hinweg. Aber natürlich nicht heute. Ob ich denn die Baustelle nicht gesehen habe, unten, an der Brücke? Das sei die Straße zur Talsperre. Und weil da gebaut würde, führe der Bus eine Umleitung, die ihn leider nicht an der Talsperre vorbeikommen ließe, sagt sie. Als sie meinen offenbar enttäuschten Gesichtsausdruck bemerkt, setzt sie hinzu, ich könne mich höchstens in der Nähe absetzen lassen. Was denn “in der Nähe” bedeute, will ich wissen. Der Bus, erklärt sie, treffe hinter der Talsperre wieder auf seine eigentliche Strecke, und wenn ich da ausstiege, könne ich ja zurück zur Talsperre laufen. Das seien nur so zwei Kilometer. Ich solle nur warten, bis der Bus eine Senke hinabführe und dann, wenn er auf der anderen Seite wieder oben angekommen wäre, an der nächsten Haltestelle aussteigen.

Als ich das wenig später auf dem Umgebungsplan nachvollziehe, stelle ich fest, daß sie leider vergessen hat zu erwähnen, daß der Bus bis dahin ungefähr zehn Kilometer unterwegs sein würde. Ich nehme an, daß es auf dieser Strecke einige Senken geben würde - wie soll ich wissen, welche die richtige ist?

Ich schildere also mein Anliegen kurzerhand noch einmal dem Busfahrer, der mir zumindest bestätigt, daß die Entfernungen, die mir die freundliche Kioskfrau genannt hatte, der Wahrheit entsprechen, und bitte ihn, mir Bescheid zu sagen, wenn ich aussteigen müsse. Da er das auch tut, stehe ich kurze Zeit später mitten in der Natur an einer Kreuzung dreier Straßen an einer Bushaltestelle namens “Kilometer 9” und frage mich, warum um alles in der Welt hier jemand eine Bushaltestelle einrichtete, noch dazu mit so einem überaus phantasievollen Namen. Der einzige Grund, der mir einigermaßen einleuchtet, ist das in der Nähe befindliche Hotel, das hier mitten in der Gegend herumsteht, direkt neben einem hohen Wall hinter einem Drahtzaun. Idyllisch, denke ich. Hier will bestimmt jeder sofort her. Erst recht, wenn er sieht, daß das Hotel ein formschöner Plattenbau in Designergrau ist.

Ich mache mich schließlich auf den Weg und folge einer der drei Straßen in Richtung Rappbodetalsperre, wie ich einem Straßenschild entnehmen kann. Die Straße führt zwischen dem Hotel und dem Wall, der sich links von mir befindet, entlang. Sein steil ansteigender Hang ist grasbewachsen und ragt vielleicht zehn Meter in die Höhe. Ich bin erst wenige Schritte gegangen, da verrät mir ein Schild an dem den Wall einschließenden Zaun, daß das Gelände zum Pumpspeicherkraftwerk Wendefurth gehört. Dann, denke ich, ist dies gar kein wirklicher Wall, dann ist dies wohl eher das obere Bassin des Kraftwerks.

Rappbode-Talsperre - Pumpspeicherwerk - KleinDaß ich mit dieser Vermutung richtig liege, bekomme ich nur wenig später bestätigt. Kurz hinter dem Hotel steht auf der rechten Seite ein gelb verputztes Häuschen, neben dem ein Geländer die Kante zu einem steil abfallenden Abhang markiert. Als ich näher herantrete, sehe ich unter mir zwei enorme Rohre den einige hundert Meter langen Hang hinabführen, bis sie weit unten in einer sehr technisch wirkenden Anlage verschwinden, hinter der sich ein großer See in einem tiefen Tal erstreckt. Dies ist der Stausee der Talsperre Wendefurth, die ich in der Ferne ebenfalls erkennen kann. Der Höhenunterschied ist beträchtlich, ich schätze ihn auf etwa hundert Meter.

Ein Stück weiter führt auf der linken Straßenseite ein Weg den Hang hinauf. Oben angekommen, bietet sich mir - wenn auch nur durch den Zaun - ein kolossaler Blick auf das Wasserbassin des Pumpspeicherwerks. Es ist beeindruckend, insbesondere, als ich mir vergegenwärtige, daß dieser große See vollkommen künstlich ist und quasi als riesige Badewanne auf dem Plateau steht, auf dem ich mich nun befinde.

Ich steige wieder zur Straße hinab, wobei ich aufpassen muß, nicht auszurutschen, denn hier liegen noch einige Eis- und Schneereste. Nun wandere ich die Straße weiter entlang und erblicke einige Zeit später durch die Bäume eine riesenhafte Betonmauer, die sich quer durch ein breites Tal spannt. Je näher ich komme, desto monumentaler wird dieses Bauwerk. Schließlich stehe ich direkt am Übergang der Straße vom Hang auf diese Mauer und überblicke sie vollständig: vor mir liegt die Rappbodetalsperre.

Rappbode-Talsperre - Stausee 3 - KleinEin beeindruckender Anblick! Gut, es ist sicher so, daß es größere Talsperren als diese gibt, aber dennoch: ein beeindruckender Anblick! Wie ein riesiges Bollwerk blockiert diese überdimensional große Betonmauer das Tal. Links von mir liegt der Stausee, sein Wasserspiegel vielleicht zehn Meter unter mir. Sein Ende ist nicht zu sehen, es verliert sich weit hinten im Tal hinter der nächsten Biegung. Die Oberfläche des Sees ist von einer Eisschicht überzogen, nur weiter hinten ist eine größere Fläche eisfrei und kräuselt sich im Wind. Als ich zunächst auf der linken Seite die Talsperre überquere, wird der immer heftiger, und als ich etwa die Mitte der Sperrmauer erreicht habe, pfeift er mir so gewaltig um die Ohren, daß ich meine Mütze festhalten muß und meine, nichts anderes mehr zu hören als das Donnern des Windes. Glücklicherweise habe ich windfeste Kleidung am Leib, so daß mir der Wind, der doch herzlich kalt um mich herumweht, nicht viel ausmacht.

Auf der anderen Seite gibt es nicht so fürchterlich viel zu sehen - die Straße verschwindet in Gestalt eines Tunnels im Berg, der vor mir aufragt, sonst ist da nichts. Links und rechts von der Tunneleinfahrt sind große monumentale Tafeln in das Mauerwerk eingelassen, die ein Hohelied auf die Werktätigen, die Ingenieure und Arbeiter, singen, die dieses Bauwerk zum Wohle des Sozialismus errichtet hatten. Was mich erstaunt, ist, daß man die Tafeln bei der letzten Rekonstruktion von Talsperre und Tunnel an dieser Stelle belassen hatte. Immerhin war das bereits in den Neunzigern gewesen. Offenbar hatte man hier doch etwas aus der Geschichte gelernt und diesmal auf die sonst übliche nachwendliche Bilderstürmerei, die alles betroffen hatte, was auch nur im Verdacht stand, mit der DDR zu tun zu haben, verzichtet. Ich finde das sehr löblich.Rappbode-Talsperre - Staumauer 5 - Klein

Ich wende mich schließlich um, da ich auf der anderen Seite über die Sperrmauer zurückgehen will. Was ich nun sehe, verschlägt mir fast den Atem. Ist es auf der linken Seite etwa zehn Meter nach unten bis zur Oberfläche des Stausees gegangen, so fällt die Mauer auf dieser Seite bestimmt an die hundert Meter tief ab, bis sie - leicht geneigt - die Talsohle und die letzten Ausläufer des Stausees der Wendefurth-Talsperre erreicht. Als ich mir vorstelle, daß die hundert Meter unter mir liegende Wasseroberfläche in etwa die obere Kante der flußabwärts liegenden Wendefurth-Talsperre bildet, die ja ihrerseits ebenfalls einige Meter Höhe haben dürfte - wenn auch längst nicht so viel wie die Rappbodetalsperre -, bekomme ich einen vagen Eindruck von der Gewaltigkeit dieses Talsperrenkomplexes. Es ist schon erstaunlich, was Menschen erreichen können, wenn sie zur Abwechslung ihre Kräfte einmal nicht nur darauf verwenden, immer noch leistungsfähigere Waffen zu bauen und sich damit gegenseitig die Köpfe einzuschlagen.

Während ich noch da stehe und hinab ins Tal blicke, direkt auf den Zusammenfluß von Bode und Rappbode, dringt über mir plötzlich die Sonne durch die Wolken. Ihre Strahlen brechen sich vielfältig auf der eisfreien Oberfläche des Rappbode-Stausees. Ist das ein Glitzern und Gleißen! Mir fällt auf, wie harmonisch doch mittlerweile Natur und Menschenwerk - in Form dieses hochtechnischen monumentalen Bauwerks - hier zusammengefunden haben. Sicher hatte der Bau damals tiefe Wunden in der Natur gerissen und ihr Aussehen in diesem Tal auf immer verändert. Ganze Waldgebiete und Lebensräume für Pflanzen und Tiere - und auch einige wenige menschliche Behausungen - waren damals in den Fluten des Stausees versunken. Doch heute ist davon nichts mehr zu spüren. Die Natur hat sich in ihrer unerschöpflichen Lebenskraft und Anpassungsfähigkeit mit diesem Bauwerk arrangiert. Und schließlich hat der Bau ja auch einen guten Zweck: Hochwasser gehört hier seit seiner Existenz endgültig der Vergangenheit an.

Rappbode-Talsperre - Bodemündung - KleinLangsam wandere ich nun wieder auf die andere Seite der Talsperre zurück und lasse dabei den phänomenalen Ausblick auf mich wirken. Schließlich drüben angekommen, bummele ich langsam zur Bushaltestelle zurück. Natürlich ist der Bus gerade weg, aber das macht mir nicht viel aus. Ich habe insgeheim sowieso beschlossen, mir nun auch noch die andere Talsperre anzusehen - wo ich doch nun schon einmal hier bin - und mache mich also auf den Weg nach Wendefurth.

Dieser führt mich immer parallel zu einer Straße durch den Wald, über gerade noch schneebedeckten Boden, und fällt schließlich steil ab. Immerhin muß ich ja zum Grund des Bodetales, und bei einem nicht mal einen Kilometer langen Abstieg wollen ja etwa einhundert Höhenmeter - so schätze ich - überwunden werden. Das ergibt stellenweise eine ganz schöne Kraxelei. Ich bin froh, daß ich abwärts will und nicht in die andere Richtung.

Als ich schließlich an der Talsperre anlange, stelle ich fest, daß sie sich praktisch direkt am Ort Wendefurth befindet, der sich unmittelbar zu ihren Füßen ins Tal duckt. Die letzten Häuser stehen unten vielleicht sechzig Meter von der Sperrmauer entfernt. Eine malerische Aussicht, wenn man da wohnt. Ob das das Leben irgendwie prägt, wenn man dauernd so eine übermäßig hohe graue Wand vor sich hat? Wer weiß...

Talsperre WendefurthIm Ort gibt es nicht viel zu sehen. Es ist eigentlich nur ein kleiner Flecken. Viel Platz ist ja auch nicht. Links und rechts steigen die Wände des Tals steil himmelan - mit Ach und Krach steigt die Straße immerhin hinauf. Es gibt ein Café oder Restaurant, weiter oben noch eines, die Brücke über die Bode, ein paar Wohnhäuser, hinter denen die Talsperre drohend aufragt, und eine Bushaltestelle.

An dieser stehe ich nun und stelle fest, daß mein Bus zwar hier durchkommt, aber nicht hält. Da dieser Ort wohl auf seiner Umleitungsstrecke, nicht aber auf seiner regulären liegt, ist ein Halt nicht vorgesehen. Ich muß also wieder zu “Kilometer 9” zurück. Nur - der liegt ganz oben, ich bin jetzt ganz unten. Soll ich nun doch den ganzen Weg zurückkraxeln müssen? Dazu verspüre ich jetzt, am Ende meiner Wanderung, nicht die geringste Lust. Läßt sich das nicht irgendwie vermeiden?

Glücklicherweise ja. Wie ich beim Studium des Fahrplans feststelle, kann ich mit einer anderen Linie zum “Kilometer 9” zurückfahren und dann dort in meinen Bus umsteigen. Ich setze diesen Plan kurz darauf in die Tat um und fahre so gemütlich den Berg hinauf. Der Fahrer des Busses, der mich schließlich an “Kilometer 9” abholt, staunt nicht schlecht, daß hier, mitten in der Pampa, mal jemand einsteigen will. Offenbar ist er das gar nicht gewöhnt.

Leider sehe ich erst hinter Rübeland wieder einmal auf die Uhr und stelle so zu spät fest, daß ich es, wäre ich ausgestiegen, zeitlich sogar noch ins Theaterstück geschafft hätte. Naja, man kann nicht alles haben. Außerdem ist es fraglich, ob ich überhaupt noch eine Eintrittskarte bekommen hätte. Wäre das Stück ausverkauft gewesen, hätte ich noch mal eine Stunde in Rübeland herumstehen müssen. Und so habe ich noch etwas, das ich mir für einen nächsten Harzurlaub vornehmen kann.

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