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Der fünfte Tag

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© 2005-2009, Alexander Glintschert
Zuletzt geändert: Sonntag, 11. Juli 2010

In der alten Kaiserstadt

Goslar - die alte Kaiserstadt. Dieser Name steht wie kaum ein anderer für deutsche Geschichte, leibhaftig und lebendig. Es ist ganz klar, daß ich meine Harzreise nicht beenden kann, ohne wenigstens einmal in Goslar gewesen zu sein. Die alte Kaiserstadt will ich unbedingt gesehen haben. Und so steht der Besuch dieser Stadt für diesen fünften Tag meiner Reise auf dem Programm.

Von Wernigerode aus ist es nur eine kurze Fahrt mit dem Zug, gerade mal eine knappe dreiviertel Stunde lang. Die Reise geht dabei immer am Rand des Harzes entlang - quasi um ihn herum. Zu sehen gibt es unterwegs nicht allzuviel, abgesehen von Feldern, hier und da einem Wäldchen, ab und zu einem Ort und in der Ferne die ansteigenden Berge. Erwähnenswert ist vielleicht, daß der Zug in Ilsenburg, in Vienenburg und in Bad Harzburg Station macht, wobei Vienenburg von sich behauptet, den ältesten Bahnhof Deutschlands zu besitzen, und in Bad Harzburg plötzlich die Fahrtrichtung geändert wird. Sonst ist nichts Aufregendes zu vermelden, und so hält der Zug schließlich in Goslar und ich steige aus.

Der Bahnhof, an dem gerade gebaut wird, ist nicht besonders spektakulär. Zwei Bahnsteige, ein Bahnhofsgebäude, schlicht und zweckmäßig, mehr läßt sich darüber kaum sagen. Ich schaue auf den Stadtplan in meinem Harz-Reiseführer, den ich mir in Wernigerode gleich am Anfang der Woche gekauft hatte, und gehe los. Wie es scheint, beginnt das Stadtzentrum praktisch genau hier, und so bin ich auch erst ein paar Schritte gegangen, da habe ich bereits die Fußgängerzone und damit die Altstadt erreicht.

Gleich als erstes komme ich zu einer Kirche, die ganz in Weiß gehalten ist. Von außen wunderschön anzusehen, lädt sie mich geradezu ein, sie auch von innen zu besichtigen. Leider stellt sich schnell heraus, daß diese Einladung nicht ernst gemeint ist, denn eine Besichtigung der Neuwerk-Kirche, wie sie heißt, ist nicht möglich. Auch für Kirchen scheint hier offenbar der Winter ein Anlaß zu sein, ganz und gar zuzusperren. So verrät es mir jedenfalls ein Schild am Eingang. Hm, im Winter ist Gott also nicht zu sprechen. Erst im April wieder. Nun gut. Der Zusammenhang zwischen einer geöffneten Kirche und den Jahreszeiten erschließt sich mir zwar nicht so ganz, aber was soll ich machen?

Ich spaziere also lediglich einmal um die Kirche herum durch den parkähnlich angelegten Kirchhof, der mir sehr gefällt - eine kleine grüne Oase zwischen den Häusern der Stadt. Als ich sein gegenseitiges Ende erreicht habe, verlasse ich ihn durch ein großes Tor.

Einige Schritte weiter komme ich an einer Schule vorbei - einem Gymnasium. Es ist in einem sehr alten, ehrwürdigen Gebäude untergebracht, das sich schloßartig und gewaltig ausnimmt und eine ganze Straße der Länge nach für sich beansprucht. Ob es von vornherein als Schulgebäude errichtet worden war, weiß ich nicht, doch heute läßt es auf den ersten Blick den altehrwürdigen Schulbau erkennen. Dabei bietet es einen gefälligen Anblick und ist weit davon entfernt, einfach nur ein Zweckbau zu sein, wie das leider für sehr viele Schulen heutzutage gilt. Dieses Gebäude besitzt einen runden Turm, sicher auch eine große Aula und mehrere Seiten- bzw. Querflügel. Hier, so stelle ich mir vor, muß es Spaß machen, zur Schule zu gehen, zu lernen und zu arbeiten, verbreitet es doch allem Anschein nach eine ganz eigene, irgendwie gelehrte Atmosphäre. Aber vielleicht geht auch nur meine Phantasie mit mir durch, angeregt durch einige nostalgische Erinnerungen an meine eigene, nun schon einige Jahre zurückliegende Schulzeit.

Goslar - Pfarrkirche St. Jakobus der Ältere - KleinAn der Schule vorbei komme ich nun zu einer weiteren Kirche, und siehe da, diese finde ich offen vor. Einer kurzen Besichtigung steht also nichts im Wege, und so betrete ich die St.-Jakobi-Kirche (bzw. die Katholische Pfarrkirche St. Jakobus der Ältere, wie sie mit vollständigem Namen heißt) durch eine Tür an der rechten Seite. Das für mich Beeindruckendste sind hier die Kanzel und die Orgel. Die Empore, über der sich die schöne verzierte Orgel erhebt, ist an ihrer Balustrade mit einer Reihe von Bildern geschmückt, die - natürlich - biblische Motive zeigen. Auch die Kanzel ist mit zahlreichen solchen Bildern verziert. Als ich näher herantrete, bemerke ich zu meiner Verwunderung, daß die gesamte Kanzel aus Holz gearbeitet ist und daß die Bilder an ihr allesamt feinste Schnitzwerke sind. Eine wirklich beeindruckende künstlerische Leistung habe ich da vor mir. Auch der Überbau der Kanzel ist mit aufwendigen Schnitzereien versehen - hier in Form von Skulpturen.

Von der Kirche aus bummele ich nun weiter in Richtung Marktplatz durch die Altstadt. Genau wie in Wernigerode sind auch hier die Fachwerkhäuser das vorherrschende Element. Und genau wie dort sind sie, das sieht man auf den ersten Blick, hunderte von Jahren alt. Lediglich die im Erdgeschoß eingerichteten Geschäfte sind der Neuzeit entsprungen und machen aus der Altstadt die reinste Einkaufspassage. Aber das ist heutzutage überall so, genau wie die Art der Geschäfte überall, wo man hinkommt, die gleiche ist. Immer findet man die gleichen Ketten und Marken. Manchmal geben sie sich regional andere Namen, damit es nicht gar so sehr ins Auge springt, aber das tut es trotzdem.

Was mir auffällt, ist allerdings ein Unterschied zu Wernigerode, den ich sehr bedaure. Die vielen kleinen Tafeln, die es in Wernigerode an zahlreichen Gebäuden gibt und die dem Interessierten allerlei aus der Stadtgeschichte und über das jeweilige Bauwerk erzählen, machen dort einen Stadtbummel zu einer unterhaltsamen und lehrreichen Angelegenheit, wenn man sich die Zeit nimmt, diese Tafeln zu lesen. Hier in Goslar vermisse ich schmerzlich etwas Vergleichbares. Ich gehe durch die Stadt, vorbei an alten ehrwürdigen und schönen Häusern, kann aber nichts über sie in Erfahrung bringen. Es ist, als verschließe sich diese Stadt vor mir.

Als ich später an der Touristeninformation vorbeikomme, fallen mir eine Reihe von Angeboten für Führungen durch die Altstadt ins Auge, jede mit einem anderen thematischen Schwerpunkt. Es wäre sicher interessant gewesen, einige von ihnen mitzumachen, aber für einen Tagesbesucher wie mich ist das leider nicht möglich. Insofern vermisse ich die kleinen Informationstafeln um so mehr.

Goslar - Rathaus 2 - KleinSo laufe ich denn weiter durch die Stadt, finde sie schön, doch bleibe dabei, was ihre Geschichte und die ihrer Bauten betrifft, gewissermaßen dumm. Schließlich erreiche ich den Marktplatz. Dominiert wird er vom rechterhand stehenden Rathaus und dem rechts von ihm, mir gerade gegenüber sich erhebenden roten Palais. Das heißt natürlich nicht wirklich so, vielmehr ist es das Hotel “Kaiserworth”, doch aus naheliegendem Grund bekommt es von mir diesen Namen verpaßt. Seine Fassade ist verziert mit zahlreichen Figuren, die verschiedene Könige und Kaiser darzustellen scheinen. Jedenfalls vermute ich das, genau herausfinden kann ich es leider nicht.

Goslar - Marktkirche - KleinZwischen Hotel und Rathaus verlasse ich den Marktplatz - auf dem übrigens tatsächlich gerade ein Markt abgehalten wird -, komme an einer Apotheke vorbei, die sich stolz als eine der ältesten Deutschlands bezeichnet, und erreiche schließlich die hinter dem Rathaus gelegene, schon vorher weithin sichtbar gewesene Marktkirche. Hier stehe ich nun wirklich vor einem Jahrtausendbauwerk - jedenfalls fast, denn diese Kirche stammt aus dem 12. Jahrhundert. Glücklicherweise ist auch hier die Tür für Besucher offen, und so kann ich mir neben dem schön ausgestalteten Innenraum der Kirche insbesondere auch die Chorfenster ansehen, die aus dem 13. Jahrhundert stammen. Es ist immer faszinierend, finde ich, etwas zu sehen, das so viele Jahrhunderte überdauert hat. Selbst wenn man heute nicht mehr weiß, wer der Meister war, der diese Fenster schuf, so hat er sich doch mit ihnen auf eine gewisse Art unsterblich gemacht. Kann es etwas Besseres geben, als der Nachwelt etwas zu hinterlassen, das man selbst geschaffen hat? Und wenn es dann soviele Jahre überdauert... Manchmal wünsche ich mir, so etwas möchte mir gelingen. Vielleicht ist dies eine mögliche Antwort auf die Frage, die sich wohl jeder im Leben irgendwann einmal stellt - die Frage nach dem Sinn des ganzen Daseins. Vielleicht liegt ein möglicher Sinn darin, etwas Bleibendes zu schaffen und damit die Welt ein kleines bißchen zu verändern.

Mit diesen Gedanken beschäftigt, verlasse ich die Kirche wieder. Ich spaziere nun durch eine Straße, die mich dem Stadtplan in meinem Reiseführer zufolge direkt zur Kaiserpfalz führen sollte, die ich unbedingt noch sehen will. Ich habe sie noch nicht erreicht, als ich auf einmal ein immer lauter werdendes Rauschen vernehme. Während ich mich noch wundere, was das wohl sein könnte, komme ich an eine kleine Brücke, die über einen kleinen Bach führt, der sich recht schnell als die Ursache für den Lärm herausstellt. Kurz vor der Brücke stürzt er sich freudig einen kleinen Wasserfall hinunter und fließt dann weiß schäumend weiter durch sein von Häusern gesäumtes Bett. Ich bleibe ein kleines Weilchen stehen und schaue dem munter plätschernden und rauschenden Wasser zu. Es ist wunderbar klar und sauber.

Goslar - Stadtansichten 7 - KleinAn einem Gebäude neben dem Bach, wieder einer Schule, bemerke ich eine Gedenktafel. Sie erinnert an Heinrich Heyne, der hier an dieser Schule Lehrer gewesen war. Die Namensähnlichkeit finde ich amüsant, zumal ja auch der berühmte Dichter in Goslar weilte, auch wenn die Goslarer bei ihm nicht so besonders gut weggekommen sind. Doch dazu später.

Ein Stück hinter der Brücke öffnet sich die Straße auf einen großen Platz. Auf diesem steht ein einzelnes kleines Gebäude, das sich vom Äußeren her wie der Eingang zu einem noch viel größeren Bauwerk ausnimmt. Nur - dieses ist nicht da! Hinter dem kleinen Bau erstreckt sich lediglich ein großer Parkplatz. An diesen schließt sich rechts eine große Rasenfläche an, die leicht zu einem Hügel ansteigt, und auf diesem erhebt sich majestätisch ein langgestreckter zweigeschossiger Bau. Als ich ihn sehe, weiß ich, daß ich die Kaiserpfalz erreicht habe.

Hier stehe ich nun also vor einem weiteren Bauwerk, das Jahrhunderte überdauert hat. Vor ihm stehen zwei Reiterstandbilder nebeneinander: rechts Kaiser Barbarossa, links Kaiser Wilhelm I. - das erste und das zweite deutsche Kaiserreich einträchtig nebeneinander.

Goslar - Kaiserpfalz - KleinLangsam steige ich den sanften Hang zum Eingang hinauf und betrete das Gebäude. Drinnen sieht es ganz und gar nicht nach einem Bau aus dem 11. Jahrhundert aus. Man könnte eher meinen, in einem modernen Bürogebäude zu stehen. Der Eingangsbereich und das Treppenhaus sind offenbar nach heutigen Maßstäben gestaltet worden. Nicht gerade eine glückliche Entscheidung, wie ich finde.

Ich kaufe mir eine Eintrittskarte und werde von dem überaus freundlichen Herrn an der Kasse darauf hingewiesen, daß gerade eine Führung begonnen habe, und falls ich daran noch teilnehmen wolle, müsse ich in den ersten Stock hinaufgehen. Da die nächste erst eine Stunde später starten würde, beschließe ich, auf die einführenden Worte zu verzichten und mich ihr noch anzuschließen.

Ich steige also eine Etage höher, wende mich, wie es mir der freundliche Angestellte beschrieben hatte, nach rechts und betrete den Kaiser- oder auch Sommersaal. So wird er bezeichnet, weil im Mittelalter die gesamte Vorderfront offen war - Fensterscheiben gab es ja damals noch nicht -, so daß der Saal nur sommers genutzt werden konnte. Im Winter mußte man in den eine Etage tiefer liegenden geschlossenen Wintersaal ausweichen.

Leise betrete ich den Saal - heute sind alle Fenster verglast, so daß ich mir keine Sorgen machen muß zu frieren. Der erste Eindruck ist überwältigend. Der Saal ist, abgesehen von jeder Menge aufgestellter Stühle - er wird heute als Veranstaltungsort genutzt -, komplett leer. Doch das bemerke ich erst später, denn nach dem Eintreten bin ich schlichtweg starr vor Staunen über die großen Wandgemälde, die alle drei fensterlosen Seiten zieren und noch von zahlreichen kleineren umrahmt werden. Ich nehme mir allerdings zunächst keine Zeit, diesen Eindruck auf mich wirken zu lassen, denn die Führung hat ja bereits begonnen. Um also nicht noch mehr zu verpassen, suche ich mir vorsichtig, damit ich niemanden störe, einen Platz in der Mitte des Saals, wo die Teilnehmer bereits sitzen und den Ausführungen der Leiterin der Führung zuhören.

Vor uns steht eine recht kleine Person, die ihre geringe Körpergröße jedoch durch eine um so lautere und kräftigere Stimme ausgleicht. Sie spricht sehr engagiert und hat sich eine eigenartige Weise zu sprechen zueigengemacht. Sie betont die Wörter in einer recht sonderbaren Art, die gar nicht zu beschreiben ist. Dazu fügt sie Pausen zwischen ihnen ein, die den Zuhörer verwirren, weil sie an die Stellen in ihren Sätzen, an denen sie sie unterbringt, gar nicht hinzugehören scheinen - ja, manches Mal reißt sie ihre Sätze förmlich entzwei. Ich brauche eine Weile, um mich an diesen merkwürdigen Redestil zu gewöhnen, und ich frage mich, warum sie sich den wohl überhaupt zugelegt haben mag. Vermutlich will sie damit der Gefahr begegnen, in eine eintönige und leiernde Sprechweise zu verfallen, wie man sie häufig bei Leuten findet, die beruflich Tag für Tag mehrmals dasselbe zu erzählen haben. Ihr ist jedoch ganz offensichtlich nicht bewußt, daß die von ihr gewählte Alternative für den Zuhörer zwar nicht ermüdend, dafür aber um so gewöhnungsbedürftiger und vielleicht sogar anstrengender ist.

Unabhängig davon erzählt sie uns jedoch außerordentlich Interessantes. So erfahre ich, daß die Wandmalereien erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf die Wände gebracht worden sind, und zwar auf Initiative des Deutschen Kaisers. Da er sich wünschte, in den Bildern die Wiedererstehung des Deutschen Kaiserreichs in Besinnung auf das längst vergangene erste Kaiserreich dargestellt zu sehen, ließ er einen Wettbewerb ausschreiben, in dem Künstler ihre Konzepte zur Umsetzung dieser Idee vorlegen sollten. Der Maler Hermann Wislicenus, der schließlich gewann, hatte seinem Konzept die Darstellung bedeutender Ereignisse der deutschen Geschichte zugrundegelegt, in deren Mittelpunkt in irgendeiner Weise das deutsche Kaisertum stand. Einige Bilder widmen sich demzufolge diesen Ereignissen, angefangen von der Reichsgründung bis hin zur Reformation, die zwar schon nicht mehr zu Zeiten eines deutschen Kaiserreichs stattfand, aber dennoch von einiger historischer Bedeutung ist, nicht zuletzt für das Zweite Deutsche Kaiserreich. Eingerahmt werden diese Darstellungen von zwei Bildern, von denen das eine das Märchen vom Dornröschen zeigt. Dies soll den jahrhundertelangen Schlaf des deutschen Kaisertums symbolisieren. Das andere Gemälde stellt dar, wie der Sage zufolge Kaiser Barbarossa aus seiner Höhle am Kyffhäuser tritt, wiedererwacht, genau wie das deutsche Kaiserreich mit Wilhelm I. an der Spitze. Und so schaut Barbarossa auf diesem Bild denn auch in die Mitte des Saales, wo das größte der Gemälde prangt: Kaiser Wilhelm I. hoch zu Roß. Dieses Roß wirkt, je länger ich es betrachte, mehr und mehr lebendig. Als ich weiter- und dabei an ihm vorbeigehe, scheint es mir hinterherzusehen. Egal, wo ich in diesem großen Raum hingehe, immer blickt es mich geradewegs an, ja es scheint sich dafür sogar extra herumzudrehen. Direkt unheimlich. Als hätte man das prächtige Tier lebendig direkt in das Bild versetzt.

Unsere Führerin erklärt uns während ihres Vortrages jedes der neun großen Bilder genauestens. Es ist wirklich sehr interessant, ihr zuzuhören, wie sie uns alle diese kleinen und großen Details erklärt. Ohne sie würden wir wohl durch diesen Raum laufen, andächtig “Ah” und “Oh” ausrufen und kaum etwas von dem verstehen, was wir da sehen. Die vielen kleinen Gemälde, die mit ihren Darstellungen gewissermaßen die Brücken zwischen den großen Bildern schlagen, kann sie uns allerdings nicht mehr näherbringen - dafür reicht die Zeit leider nicht aus. Nur bei einem macht sie eine Ausnahme. Auf ihm ist dargestellt, wie Heinrich V. von einem Blitz in den Fuß getroffen wird. Dieses Ereignis wurde damals recht schnell bekannt - der König war am Fuß verletzt worden, und noch dazu auf solch dramatische Weise, oh Gott! - und vom Volk in seiner ganz eigenen Weise gedeutet: Heinrich V. habe die Strafe Gottes dafür erhalten, daß er seinen Vater Heinrich IV. entmachtet und sogar eingesperrt habe, um selbst den Thron zu erobern. Und dies, so sagt man heute, war der Ursprung für das weithin bekannte Sprichwort “Die Strafe folgt auf dem Fuße.”

Bald darauf beendet die Führerin ihren Vortrag, und wir zollen ihr den hochverdienten Beifall. Ihre eigenwillige Redeweise hat letztlich dazu beigetragen, unsere Aufmerksamkeit stets aufs Neue zu fesseln und ihre Erklärungen nie langweilig werden zu lassen.

Nach einem anschließenden kleinen Rundgang, der mich in die Ullrichkapelle mit dem Grab Kaiser Heinrichs III. führt, kehre ich schließlich in die Eingangshalle im Erdgeschoß zurück. Von hier aus geht es in den sogenannten Wintersaal, der überhaupt keine Verbindung nach außen besitzt. So recht wie ein Saal wirkt er gar nicht, denn er ist in mehrere Gewölbe unterteilt, die jeweils nur durch kleinere Durchgänge miteinander verbunden sind. In ihnen ist eine Ausstellung zur Geschichte des Deutschen Kaiserreichs und zur Architektur der Epochen des Mittelalters untergebracht. Da ich ja nur auf einen Tagesausflug hier in Goslar bin, kann ich natürlich nicht all die interessanten Texte und Beschreibungen, die hier geboten werden, lesen, und so beschränke ich mich nur auf die mir am wichtigsten erscheinenden Tafeln.

Im vierten Gewölbe stehen einige Stühle um eine Leinwand herum. Gerade als ich am Ende der Ausstellung angelangt bin, beginnt hier eine der stündlich gezeigten Filmvorführungen. Gezeigt wird eine Computervisualisierung des ehemaligen Doms, die ihn nachbildet, wie er von außen und von innen ausgesehen haben muß. Er hatte früher dort gestanden, wo sich heute der Parkplatz befindet. Als er im 19. Jahrhundert derart baufällig geworden war, daß er hätte gründlich restauriert werden müssen, um nicht einzustürzen, beschlossen die Stadtväter angesichts ihrer knappen Stadtkassen, ihn lieber abreißen zu lassen und damit sogar noch ein wenig Geld zu verdienen, indem sie die Steine zum Abbruch an einen Maurermeister verkauften. Und dieser leistete alsbald ganze Arbeit. Goslar - Stadtansichten 5 - KleinDer gesamte Bau wurde abgetragen - bis auf die nördliche Vorhalle, die noch bis heute erhalten geblieben ist. Dieser kleine Bau war es, den ich vor meinem Besuch in der Kaiserpfalz vor dem Parkplatz bemerkt hatte. Vom Dom ist heute lediglich der Umriß seiner Außenmauern, der im Pflaster des Parkplatzes nachgebildet wurde, geblieben. Für den Abriß dieses Kirchenbaus, der einst einer der prächtigsten Deutschlands war, bedachte Heinrich Heine in seiner “Harzreise” die Goslarer mit bitterem Spott. Immerhin haben sie ihm dennoch eine Gedenktafel gewidmet, die heute an der ehemaligen Vorhalle angebracht ist, wenn auch nicht am Eingang, sondern an der Seitenwand, nahe der Rückseite. Ganz haben sie es wohl doch nicht verwunden, so gescholten zu werden...

Nach dieser Computeranimation beende ich meinen Rundgang durch die Kaiserpfalz und wende mich zum Gehen, wieder in Richtung Stadt. Nach einer kleinen Pause in einem Café direkt neben der Pfalz - in dem es übrigens ausgesprochen leckere Eierkuchen gibt - schlendere ich weiter kreuz und quer durch die Straßen, finde dabei das Haus, in dem Goethe in Goslar auf seiner Harzreise übernachtet hat - die Erinnerungstafel ist nebenbei bemerkt ausgesprochen prominent an der Vorderfront des Hauses angebracht, schließlich müssen die Goslarer dem guten Goethe keinen beißenden Spott nachtragen -, Goslar - Stadtansichten 8 - Kleinkomme an der Lohmühle vorbei, deren Mühlrad von demselben lustig plätschernden Bach angetrieben wird, der mich vorhin so freudig rauschend begrüßt hatte und von dem ich inzwischen herausgefunden habe, daß er Abzucht genannt wird, und bin ein weiteres Mal außerordentlich beeindruckt, mit wie viel Liebe und Hingabe diese schöne alte mittelalterliche Stadt bewahrt und erhalten wird.

Als es schließlich Abend wird, wende ich mich wieder in Richtung Bahnhof, denn ich muß ja wieder zurück nach Wernigerode. Insgesamt habe ich einen schönen Tag in Goslar verbracht, und auch wenn sie sich etwas schwer tat, mir ihre Geheimnisse und Geschichten preiszugeben, habe ich doch ein wunderschöne alte Stadt gesehen. Ich wüßte nicht zu sagen, welcher der beiden Orte, Wernigerode oder Goslar, mir besser gefällt. Beide Städte sind zwar mittelalterliche Fachwerkstädtchen, aber dennoch auch sehr verschieden in ihrem Charakter, mit dem sie sich präsentieren. Goslar wirkt als ehemalige Kaiserstadt größer, offener, vielleicht auch großspuriger und ein wenig protziger. Wernigerode dagegen ist die kleinere, verträumte und romantische, die bunte Stadt am Harz. Sie beide zu vergleichen, um zu sagen, welche ich lieber mag, ist schwer, und wenn ich es recht bedenke, kann ich es nicht. Aber glücklicherweise verlangt das ja auch keiner von mir...

 

 


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